Verliebt in 1001 Nacht
Andere Länder, andere Sitten
Verliebt in 1001 Nacht
Im Juni war ich nach drei Jahren wieder Single. Nur wenige Wochen später habe ich Senna* kennengelernt und mich Hals oder Kopf in sie verliebt. Von 0 auf 100 in wenigen Wochen – heute sind wir seit fast 9 Monaten zusammen. Das interessante daran: Sennas Familie kommt aus der Türkei.
Perfekt Augenbrauen, eleganter Lidstrich und dickes, dunkles Haar. Sennas makelloses Milchgesicht hat mich von der ersten Sekunde an fasziniert. Dass sie keine Europäerin ist, sieht man sofort, aber woher sie kommt, war mir am Anfang eigentlich auch ziemlich egal.
Wie gehen zusammen trinken und tanzen, wir küssen uns und haben Sex. Hemmungslos und quasi international. Ihre Haut ist schöner, als meine blasse, deutsche Haut, ihre Bewegungen verzaubern mit Klasse.
Schnell wurde aus Ausgehen, trinken und Sich-lieben, eine Beziehung, die für mich vollkommen neu war und obwohl Sennas Familie aus dem ziemlich modernen Istanbul kommt, wurde ich immer wieder überrascht.
Kulturschock Nr. 1: Weggehen auf türkisch
Gemeinsam mit zwei (deutschen) Freunden von mir wollen Senna und ich heute mit ihrer Familie feiern gehen. Meine Freunde sind skeptisch gegenüber meiner neuen Freundin. „Sie gibt ganz schön den Ton an“, warnt mich eine gute Freundin. Ich bekomme davon nichts mit. Ich bin hoffnungslos verliebt.
Bevor es losgeht, will Senna mich noch umstylen. Ich stutze, denn mein Outfit hat mir eigentlich gut gefallen. Später erfahre ich, dass ihr meine Bluse zu durchsichtig und mein Make-up zu dezent war. Na gut.
Bei der Familie angekommen erwarten mich Sennas Onkel, ihre Cousinen, ihr Bruder und Bekannte. Ich werde mit Küssen auf die Wange begrüßt. „Schatzi, wie geht es dir?“, fragt mich Sennas Onkel, den ich vorher noch nie getroffen habe. Nett, aber ein bisschen aufgesetzt. Wir spielen Gitarre und Cajon. Wir singen. Sennas Familie singt immer – ist das typisch türkisch? Die Verlobte ihres Onkels singt ein Lied auf Türkisch. Für alle klingt es gut, für mich perfekt. Dass sie keine Türkin ist und kein Wort von dem, was sie singt, versteht, erfahre ich erst später.
Mit dem Auto fahren wir in eine türkische Rockbar. Auf dem Rücksitz lege ich meine Hand auf Sennas Bein. Angetrunken wie wir sind, ist es ihr egal, aber ihr Onkel zischt irgendwas auf Türkisch nach hinten. Mit der Harmonie ist auf einmal egal. Das war wohl zuviel lesbische Intimität für ein türkisches Auto.
In der Bar angekommen bin ich ein bisschen aufgeregt. Als einzige Blondine in der Traube der türkischen Familie richten die anderen Gäste ihre Augen auf mich. Das bilde ich mir zumindest ein. An der Bar bestellen wir uns Raki. Das ist am günstigsten und schmeckt ab dem zweiten Glas sogar gut. Auf einem Sofa sitzt eine junge Frau mit Kopftuch. Statt mir, ist es sie, die hier eigentlich auffällt. Wir amüsieren uns und tanzen. Später kommen Sennas Eltern. Ich lade sie zu Raki ein und Sennas Vater zeigt mir türkische Tanzschritte.
Kulturschock Nr. 2: Ramadan
Nachdem Fasten wird gefeiert. Sennas Familie nimmt das etwas lockerer. Gefastet wird nicht, gefeiert gern. Sennas Mutter läd mich ein und obwohl ich wirklich Angst davor habe, die ganze Familie samt Großeltern zu treffen, gehe ich mit, denn ich weiß, wie wichtig meiner neuen Freundin ihre Familie ist.
Als wir etwas außerhalb von Hamburg in der kleinen Wohnung von Sennas Tante ankommen, sind schon alle da. Küsschen links, Küsschen rechts. Alle empfangen mich mit offenen Armen. Die Frauen kochen alle zusammen für die ganze Familie. Klingt konservativ: Ist es aber irgendwie gar nicht. Tanten, Cousinen, Senna und ich stehen in der Küche. Sie rauchen und tratschen. Ich oute mich als Vegetarierin, was in einer türkischen Familie übrigens echt schlecht ist. Denn Türken lieben Fleisch!
Nachdem gegessen wurde, spielen die Männer Karten. Sennas Tante schummelt sich als einzige Frau ins Spiel und wird von allen anderen angefeuert. Der Bruder von Sennas Vater spricht kaum deutsch und versucht mir die verschiedenen Karten-Bezeichnungen auf Türkisch beizubringen. Ich lächle und nicke, verstehe aber kaum was. Er findet mich trotzdem super, oder vielleicht gerade deshalb.
Kulturschock Nr. 3: Die Familie zu Besuch
Senna wohnt inzwischen mit mir in meiner WG. Natürlich kommt da auch mal die Familie zu Besuch. Dass ich mit einem Mann zusammen wohne, finden sie ganz schön befremdlich.
Ich mache ihnen Tee. Dass Türken immer und überall gerne schwarzen Tee (Cay) trinken, habe ich mittlerweile schließlich mitbekommen. Sennas Vater ist der Tee nicht stark genug, ich gehe schnell und mache neuen. Ich mache es gerne, aber ein bisschen auf den Schlips getreten fühle ich mir schon von seiner Beschwerde.
Kulturschock Nur. 4: Jeder kennt jeden
Türkische Familien halten über viele Ecken zusammen. An jeder Ecke findet sich ein Cousin, eine Nichte oder ein entfernter Onkel. Jeder kennt jeden. Der Juwelier an der Ecke ist der Bruder, eines Freundes von Sennas Onkel. Der Besitzer des Restaurants ein ehemaliger Kollege von Sennas Onkel und ich die neue Freundin von Senna. Auch ich kenne jetzt überall irgendwen. Das kann praktisch sein, wenn man im überfüllten Restaurant super Plätze in einem abgeschotteten Raum bekommt oder man einen „Familienrabatt“ ; das kann aber auch schwierig sein, wenn man seine Freundin an bestimmten Orten nicht Küssen kann, weil hier irgendwo doch der Bruder, von dem Onkel, von dem Freund… eine Marktbefragung durchführt.
[embedplusvideo height=”281″ width=”450″ standard=”http://www.youtube.com/v/RQaeZpi9rcY?fs=1″ vars=”ytid=RQaeZpi9rcY&width=450&height=281&start=&stop=&rs=w&hd=0&autoplay=0&react=1&chapters=¬es=” id=”ep7238″ /]
Marie mittendrin
Heute, 9 Monate später, bin ich mittendrin. Mein Leben dreht sich um Senna und ihre Familie UND ich genieße es. Ich mache Köfte und Pide für Senna, trinke Raki und höre nur noch die Songs meiner „Joy Turk Akustikhane“-Playlist.
Die große türkische Familie hat mich mit offenen aufgenommen. Mein potentieller Stiefvater begrüßt mich mit Küssen als seine Tochter, Sennas Bruder trägt mich betrunken ins Bett und die Mutter der Familie kommt aus dem Schwärmen nicht mehr raus „Süper hoş!“.
Obwohl ich immer wieder überrascht bin über die ganz neue Kultur, gibt es Dinge, die ich dort tatsächlich viel schöner finde als in allen anderen Familien, die ich bislang kennengelernt habe. Sennas Familie legt viel Wert auf Stil und Respekt. Ein gemeinsames Essen ist ein Ritual, dass zelebriert und genossen wird. Man liegt sich in den Armen und küsst sich. Dass die Familie ganz oben steht ist eben eigentlich etwas sehr schönes.
*Name geändert
Im Mai fliege ich übrigens mit Senna und ihrer Familie nach Istanbul. Ein Reisebericht folgt.
Was für Erfahrungen habt ihr mit Frauen mit anderem kulturellen Hintergrund gemacht?
No Comment