Coming-OutKommentar / Rezension / Kolumne

Spitzensport und Homosexualität

Am 27. Juli ist es so weit: in London werden die diesjährigen Olympischen Sommerspiele ausgetragen. In diesem Zusammenhang habe ich mich gefragt: Warum sind eigentlich so wenige Sportlerinnen und Sportler geoutet? Oder könnt Ihr mir spontan deren 10 nennen, die aktuell noch ihrer Karriere frönen?

Einige wenige Ausnahmen

Martina Navratilova hat’s getan, Inka Grings hat’s (mehr oder weniger freiwillig) getan, Amélie Mauresmo hat’s getan, Conchita Martinez hat’s getan, Anja Pärson hat’s getan, Gareth Thomas hat’s getan, John Amaechi hat’s getan: Sie alle haben der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass sie homosexuell sind. Die meisten von ihnen übrigens nach Beendigung ihrer sportlichen Karriere. Doch warum sind diese Menschen Ausnahmeerscheinungen im heutigen Spitzensport? Warum fällt dort das Bekenntnis, homosexuell zu sein, nach wie vor so schwer? Haben die Athletinnen und Athleten schlicht keine Lust, dass ihr Privatleben öffentlich debattiert wird? Fürchten sie, schlechter vermarktet werden zu können? Wird ihnen allenfalls vorgeschrieben, dass sie sich während ihrer Aktivzeit nicht zu ihrer Sexualität äussern dürfen? Oder haben sie noch immer das Schicksal von Justin Fashanu im Hinterkopf, der bereits 1990 und als bislang einziger während seiner aktiven Fussballerkarriere gestand, schwul zu sein?  

Ein schockierendes Beispiel

Justin Fashanu spielte 1981 für den englischen Erstligaclub Nottingham Forrest. Sein Trainer bekam Wind davon, dass sein Schützling in der Schwulenszene verkehrte, und stellte ihn vor der ganzen Mannschaft bloss (auf den genauen Wortlaut werde ich an dieser Stelle verzichten). Was folgte, waren qualvolle Jahre, in denen Justin nicht nur Beleidigungen wegen seiner Hautfarbe, sondern auch wegen seiner sexuellen Orientierung über sich ergehen lassen musste. Zwischenzeitlich wandte er sich gar einer Sekte zu. Mit dem expliziten Ziel, seine Homosexualität bekämpfen zu können.

Diese unaushaltbare Situation, dieser Kampf mit sich selbst und gegen die eigene Sexualität äusserte sich auch in sportlicher Hinsicht, und so währte seine Karriere aufgrund anhaltender Erfolglosigkeit denn nicht lange. Er kehrte nach Aufenthalten in den USA Ende der 1980-er Jahre zurück nach England, und entschied sich 1990 zum öffentlichen Outing. „I am gay“, zitierte ihn das Revolverblatt „The Sun“. Nachdem er damit kokettiert damit hatte, Affären mit führenden Politikern gehabt zu haben (was, wie er später einräumte, eine Lüge war), und sich die schwarze Gemeinde sowie seine Familie von ihm abwandten, suchte er sein Glück wiederum in den auf der anderen Seite des grossen Teichs. Dort arbeitete er als Jugendtrainer, bis ihn 1998 ein 17-Jähriger Junge der Vergewaltigung bezichtigte. Fashanu flüchtete in die Heimat – und erhängte sich, als er vom internationalen Haftbefehl gegen ihn hörte. Er hinterliess folgenden Abschiedsbrief:

„Wenn irgendjemand diese Notiz findet, bin ich hoffentlich nicht mehr da. Schwul und eine Person des öffentlichen Lebens zu sein, ist hart. Ich will sagen, dass ich den Jungen nicht vergewaltigt habe. Er hatte bereitwillig Sex mit mir, doch am nächsten Tag verlangte er Geld. Als ich nein sagte, sagte er: „Warte nur ab!“ Wenn das so ist, höre ich euch sagen, warum bin ich dann weggerannt? Nun, nicht immer ist die Justiz gerecht. Ich fühlte, dass ich wegen meiner Homosexualität kein faires Verfahren bekommen würde. Ihr wisst, wie das ist, wenn man in Panik gerät. Bevor ich meinen Freunden und meiner Familie weiteres Unglück zufüge, will ich lieber sterben.“  (Quelle: Wikipedia)

 Rückendeckung

Dass Homosexualität im Spitzensport nach wie vor ein grosses Tabu ist, hat sicherlich auch damit zu tun, dass sich Organisationen wie beispielsweise die FIFA, um mit der Macho-Hetero-Hochburg Fussball das Paradebeispiel in diesem Zusammenhang zu nennen, nach wie vor äusserst schwer mit dieser Thematik tun. Vorderhand werden zwar Aktionen gegen Homophobie lanciert, gleichzeitig tritt Joseph Blatter, seines Zeichens Präsident der „Fédération Internationale de Football Association“ mit unüberlegten Aussagen von einem Fettnäpfchen ins nächste. Wenig hilfreich sind in diesem Zusammenhang auch Äusserungen wie jene von Antonio Cassano an der diesjährigen Fussball-Europameisterschaft, als er auf die Frage, ob es Homosexuelle in der Squadra Azzurra gäbe, wie folgt antwortete: „Ob es homosexuelle Spieler in der Nationalmannschaft gibt? Das ist deren Problem. (…) Ich hoffe, dass keine Schwulen (Anmerkung: andernorts wurde seine Wortwahl treffenderweise auch mit „Schwuchteln“ übersetzt) in der Mannschaft sind.“ (Quelle: Tagesanzeiger). Dieser Inhalt sowie die Wortwahl an sich sind schon skandalös; noch schockierender und unverständlicher ist jedoch, dass die UEFA den Kicker nicht mit einer Strafe gebüsst hat – wie es zum Beispiel bei rassistischen Äusserungen der Fall ist. Das hinterlässt einen äussert schalen Nachgeschmack, könnte man doch geneigt sein, den entsprechenden Organisationen pure Heuchelei in Punkte Bekämpfung von Homophobie vorzuwerfen.  

Vorreiter müssen her

Erfolgreiche Athletinnen und Athleten sind Vorbilder. Nicht nur aufgrund ihrer sportlichen Errungenschaften, sondern auch in menschlicher Hinsicht. Würden sie sich vermehrt trauen, zu ihrer Homosexualität zu stehen, würden sie ein wichtiges Zeichen setzen und den Weg für die nächsten Generationen ebnen: Ja, wir dürfen stolz auf uns sein. Nein, wir müssen uns nicht verstecken. Ja, wir können erfolgreich sein und gar zu Idolen werden. Unsere Sexualität steht uns bei all dem nicht im Wege. Es wäre an der Zeit, dass die betroffenen Sportlerinnen und Sportler vermehrt den Mut dazu aufbringen. Auch während ihrer Aktivzeit. Vielleicht ja während der anstehenden Sommerolympiade in London. Und mit ehrlicher und aufrichtiger Unterstützung der entsprechenden Organisationen. Denn nur mit dem Bekenntnis, Homophobie im Sport nicht zu dulden, ist es eben nicht getan.



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3 Comments

  1. Lena Mettler
    11. Juli 2012 at 1:16

    Danke für den Artikel. Das ist mit Sicherheit ein Problem und sehr schade. Zum Glück gibt’s auch Spitzensportler und Spitzensportlerinnen die sich trauen und sich freiwillig outen und somit eine Rolle als Vorbild wahrnehmen. Zu den oben erwähnten Ausnahmen zählt auch die Schwedische Fussballnationalspielerin Jessica Landström. An all jene ein grossen Dankeschön!

  2. 4. Juli 2012 at 20:57

    Danke, Isabelli. Genau dafür betreiben wir diesen Blog. In diesem Sinne: danke DIR!

  3. Isabelli
    4. Juli 2012 at 16:17

    Also, wenn Ihr diesen Artikel nicht veröffentlicht hättet, hätte ich es sonst nicht gewusst. Das macht einem schon Mut :-). Danke!

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