Sexuelle Revolution oder Emotionale Entgleisung?
Facettenreichtum Lesbischer Ausdrucksform spiegelt der Buchband „Mein lesbisches Auge 18“ wieder. In Form von Texten, Prosa, Gedichte, Stories, Fotografien, Zeichnungen und Bildern finden meist private Frauen und tatsächlich auch (lesbische?) Männer ihren Ausdruck. Alle zwei Jahre entsteht so ein dokumentarisches lesbisches Zeitzeugnis.
„Seit der ersten Ausgabe 1998 hat sich einiges geändert am lesbischen Leben“, so Claudia Gehrke, Verlegerin vom konkursbuch Verlag im Vorwort der aktuellen Ausgabe. „Es sind Geschlechter hinzu gekommen und sie sind nicht mehr so eindeutig. Die Schamhaarmode hat sich gewandelt. SM gibt es immer noch. Lesben lernen sich nunmehr in Internetportalen kennen. Das Schwere und das Süße der Liebe verändert sich jedoch nicht“.
Alle Texte und Bildwerke widmen sich größtenteils der lesbischen Beziehung, der lesbischen Sexualität oder der lesbischen Identität. Verspielt, dramatisch, dokumentarisch, Fantasiegeschichten, Erlebtes. Umgesetzt in Schrift und Bild spiegelt der Buchband ein weites Spektrum wieder. Dildo Spiele, SM Szenen von Stiefel küssenden Sex-Sklavinnen, Bondage, masturbierende Lesben, Blutbilder. In einem Gruppensex Fotos sind dann auch schon mal Männerhände oder männliche Glatzköpfe mit einbezogen. Das galt vor noch wenigen Jahren als absolutes Tabu in der Lesbenszene. Hier findet Frau alles, was das sexuelle Auge begehrt. Mitunter nichts für Weicheileiterinnen.
Die aktuelle Ausgabe widmet sich dem Thema „Mutter“. Mütterliche Verhältnisse, lesbische Mütter oder die Mütterlichkeit in lesbischen Beziehungen. Ein Extrabeitrag in der Jubiläumsausgabe ist die Ausstellung „Lesbisches Sehen“ im Schwulen Museum, Berlin. Martina Minette Dreier zeigt aneinander gereihte Frauenportraits, umgesetzt in zeichnerischer Form, auf der Suche nach weiblichen Vorbildern in der männlich dominierten Kunstgeschichte. Fotografische Portraits von Butches in ihrer Arbeitskleidung sind von Corinna Harl zu sehen. Die wie aus dem Kontext gerissenen Fotoaufnahmen von einem Boot in Miniatur im Schaukasten oder ein dunkles Zimmer mit Gardinen irritieren. Da sei der verborgene queere Moment zu erahnen, so die Künstlerin Lena Rosa Händle.
Langatmige Geschichten, in denen um den heißen Brei geschrieben wird, scheinen beliebt zu sein. Ausgedehnt auf ganze 24 Buchseiten schreibt Regina Nössler über eine tatsächlich bis zum Ende unerfüllte Liebe zu einer Hetera. Im Stalker Modus wird die Sehnsucht, das sich Hingezogen Fühlen zum gleichen Geschlecht und deren Abweisungen bis ins Detail ausgeführt. Wir Lesben scheinen geduldig und bescheiden zu sein. Da reicht es zuweilen aus, sich in unendlichen Fantasien zu flüchten, sich mit minimalen Zuwendungen zufrieden zu geben. Eine andere Geschichte spielt in Mallorca, in der eine Frau ein Eisentor schweißt. Seitenweise wird in Details geschwelgt, bis das langersehnte Highlight einer körperlichen Begegnung stattfindet, immerhin. Selbige Schreiberin vertieft sich in einer anderen Fantasiegeschichte in angehäuft brutaler Wortwahl gepaart mit Sexualität. Mutiges Zeitzeugnis oder unreflektiert befreiend?
Je mehr Texte ich lese, umso trauriger werde ich. Gewalt, unerfüllte Sehnsucht, Alkohol, Drogen, Suizid, Mann-Sein-Wollen, gesellschaftlich ungelöste Konflikte. Was ist nur aus uns Lesben geworden? Schwelgten wir nicht einst in Freiheit und wählten selbstbestimmte Wege? Schmückten unser Leben mit Freigeist? Genau das suggeriert das Titelbild des ‚Mein lesbisches Auge 18‘. Zwei nackte Mädels, offen lächelnd, glücklich zur Betrachterin schauend, befreit, sich sanft in den Armen haltend. Die Langhaarige erscheint weiblich, die Kurzhaarigere eher androgyn. Im Hintergrund eine floristisch anmutende rosarote Tapete. Trügt der Schein?
Lesbenfotos gepaart mit Knebelspiele, Faust Eindringen, Penisdildos. Ja natürlich, Penisfantasien können befreien und gehören dazu. Sind wir Lesben auf dem Umkehrweg zurück zur befreiten Penis-Sexualität? Eine Phase? Ist es der Spiegel der Gesellschaft, in der Gewalt und Isolation zum Alltag gehören? Wer sich selber ein Bild machen möchte, dem empfiehlt lesbianchic „Mein lesbisches Auge 18″, erschienen im konkursbuch Verlag Claudia Gehrke unter der Herausgeberin Laura Méritt.
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