Seitenwechsel – Frauen lieben wie sie wollen
Anfang Januar stellte ich unseren Facebook-Followerinnen* die Frage, über welche Themen wir im neuen Jahr schreiben sollen. Ein Wunsch war das Thema „Seitenwechsel“. Ein Stichwort. Das Thema ließ die Kommentatorin ganz offen.
Ich nutzte das Wort „Seitenwechsel“ und die Google-Suche als Inspiration. Rasch landete ich bei einer Unmenge von Artikeln über flexible sexuelle Ausrichtung. Darunter war auch eine Reportage der Cosmopolitan, bei der verschiedene Psychologinnen zu erklären versuchen, weshalb Frauen die Seiten zwischen Homo- und Heterosexualität öfter wechseln als Männer. Als Frau, die vor acht Jahren selbst langsam damit begonnen hat, die Seite zu wechseln, glaube ich, auch meinen Teil zur Erklärung beitragen zu können.
Mädchen wünschen sich eine Beziehung mit ihrer besten Freundin
Im genannten Cosmopolitan-Artikel wird beschrieben, dass sich junge Mädchen oft wünschen, mit ihrer besten Freundin zusammen sein zu können. Denn „niemand kennt und versteht mich so wie sie.“ Diese Aussage kann ich persönlich nicht bestätigen. Zwar hatte ich bis circa 12-jährig eine beste Freundin und wir haben uns auch mal geküsst, aber ich fand das ziemlich unangenehm und hätte mir zu diesem Zeitpunkt keinesfalls eine Beziehung mit ihr gewünscht. Auch nicht mit meinem besten Freund, mit dem ich zwischen 6 und 14 Jahren die meiste Freizeit verbrachte. Ich wünschte mir damals eine Beziehung mit männlichen Romanhelden, die mich vor allem Unheil beschützen und in eine heile Welt entführen. Ja, so war ich als vorpupertierende, verträumte Leseratte. Als dann die Pupertät einsetzte, wünschte ich mir ganz selbstverständlich einen Freund – wie alle. Ich blieb aber während der ganzen Schulzeit Single und war komischerweise auch nie ernsthaft in einen Typen verknallt. Meinen Freundinnen erählte ich das natürlich nicht. Offiziell schwärmte ich immer für irgendeinen. Das gehörte sich in der Clique so, also machte ich brav mit. Dass ich mich in der Oberstufe unsterblich in eine zwei Jahre ältere, sportliche Mitschülerin mit wundervollen blonden Locken verknallt hatte, realisierte ich erst mit 17 – also zwei Jahre nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit. Mein Freundeskreis war aber auch da noch nicht offener, als während der Schulzeit. Somit blieb mein aufkeimendes lesbisches Interesse weitere Jahre mein Geheimnis. Aber zu diesem Teil kommen wir später noch ausführlich.
Frauen sind sexuell weniger auf ein Geschlecht fixiert
Die amerikanische Psychologie-Professorin Lisa M. Diamond hat Frauen in einer Langzeitstudie beobachtet. Was sie herausgefunden hat, nennt sie „Sexual Fluidity“. Sie sagt, Frauen hätten die Fähigkeit, in bestimmten Situationen oder Beziehungen unerwartet erotisch zu reagieren. Unerwartet, das heißt, obwohl man immer auf Männer stand, kann eine Frau in einer gewissen Situation genauso Begehrlichkeiten für eine andere Frau entwickeln. Frauen seien demnach prädestiniert, die Seiten der Sexualität zu wechseln – und zwar immer wieder.
Diese These hat eine weitere Professorin aufgegriffen und scheinbar bewiesen: Sie zeigte Frauen und Männern aller sexuellen Orientierungen erotische Filme. Die Genitalien der Probanden waren währenddessen verkabelt und zeichneten so ein eindeutiges Bild: Homosexuelle Männer wurden durch homoerotische Szenen erregt, heterosexuelle Männer ausschließlich durch heteroerotische Szenen. Ganz anders sah es bei den Frauen aus: Egal welche sexuelle Orientierung sie angegeben hatten, ihre Genitalien reagierten auf alle Kombinationen: Mann-Frau, Frau-Frau und sogar Mann-Mann.
Ich habe meine Fluidity – um das Wort weiter zu verwenden – erst im Alter von 17 Jahren entdeckt, als ich mich grundsätzlich mit der Frage auseinandersetzen musste, was ich denn von meinem Leben wirklich wollte. Ich war ungefähr ein halbes Jahr zuvor von meinem ersten Freund betrogen und verlassen worden, fühlte mich potthässlich und zu fett, hatte abgenommen, wieder zugenommen und war so voll in eine Bulimie und Depression geschlittert. Daneben war ich in der Ausbildung zur Bürokauffrau und versuchte meinen gigantischen Anforderungen an mich selbst gerecht zu werden. War eine tolle Zeit. Nein, nicht wirklich. Aber dennoch bin ich froh, dass es mir so scheiße ging. Denn um da wieder raus zu kommen, musste mir die Frage stellen: „Was willst du mit deinem Leben anfangen? Du. Was willst DU“. Ich realisierte, dass ich seit dem Schulwechsel in der Oberstufe total neben mir stand. Ich fand damals in der neuen Klasse kaum Anschluss, wurde gehänselt und fing an, mich anzupassen. Ich passte mich so sehr an, dass ich mir sogar einredete, für einen Jungen schwärmen zu müssen und nicht einmal begriff, dass ich in ein Mädchen verliebt war.
In der dunklen Stunde zwischen fressen, kotzen, heulen und dem Versuch, mich selbst zu begreifen, enttarnte ich all die Selbstlügen, mit denen ich drei, vier Jahre gelebt und an die ich selbst geglaubt hatte. Mir fiel ein, dass ich als Kind liebend gerne in Versandhauskatalogen blätterte und dabei am längsten bei der Damenunterwäsche verblieb, weil ich da ein so süßes ziehen im Unterleib spürte. Ich erinnerte mich, dass ich im Kindergarten unglaublich eifersüchtig auf die Jungs war, die mit dem beliebtesten Mädchen Mutter-Vater-Kind spielen konnten – weil ich sie hätte „heiraten“ wollen. Ich fing an, mich auf Partyplattformen als bisexuell auszugeben und mit anderen jungen Frauen zu schreiben. Ich erkannte, dass ich mich sowohl zu starken, beschützenden Männern, wie auch zu selbstbewussten, femininen Frauen hingezogen fühle. Catherine Zita-Jones war meine Traumfrau, Pierce Brosnan als James Bond mein Traummann.
Noch heute, obwohl ich mich als lesbisch bezeichne und eine künftige heterosexuelle Beziehung ausschließe, finde ich starke, männliche Heldenfiguren anziehend. Auch wenn mein reales Sexleben seit einigen Jahren nicht mehr „fluid“ ist und ich Penisse aus Fleisch und Blut nicht vermisse, in meinen erotischen Fantasien haben sie nach wie vor Gastauftritte. Hätte ich beim Film-Experiment mitgemacht, wäre ich bestimmt eine der Frauen gewesen, bei der die Genitalien auf alle möglichen sexuellen Kombinationen reagiert hätten. Für mich ist das übrigens ganz normal, erotische Gefühle in allen möglichen Situationen entwickeln zu können. Es heißt ja nicht, dass ich es dann auch immer ausleben muss. Und schon kommen wir zu DER Frage, die ich mir unweigerlich stellen lassen muss:
Können Frauen dann treu sein, wenn sie schon mal die Seite gewechselt haben?
Das ist mein Lieblingsthema. Das betrifft mich noch heute – auch nach Jahren ausschließlich lesbischer Liebe und Sexualität – immer wieder mit dem Vorschlaghammer: Die Frage, ob ich denn nicht irgendwann wieder mit einem Mann schlafen werde. Schließlich hatte ich ja zwischen 16 und 25 viel Sex mit Männern – mit Frauen übrigens auch.
Auf meine Gegenfrage, weshalb ich denn wieder mit Männern schlafen sollte, habe ich mannigfaltige Gründe zu hören bekommen. Beispielsweise: Weil ich männliche Gemächte vermisse (gibt’s aus Silikon – die halten länger durch als echte, Schätzchen), ich bin betrunken (ähm… und weshalb sollte sich da meine sexuelle Orientierung verflüssigen?), ich bin alleine auf Reisen und hatte da ja öfter One Night Stands (und warum sollte ich den mit einem Typen haben? Gibt’s im Ausland keine Frauen?) und so weiter. Ich hasse diese Fragen. Am meisten hasse ich sie, wenn sie mir von meinem aktuellen Date, oder noch schlimmer, meiner aktuellen Freundin gestellt wird. Alle diese Fragen sprechen mir die Ernsthaftigkeit meiner Gefühle ab. Genauso wie meine Selbstkenntnis. Nur, weil ich nicht aus der Gebärmutter geflutscht bin und dachte „Jaaaaa! Vaginas und Brüste! Das ist es, was ich mein Leben lang will!“, sondern meine Sexualität erst langsam erkunden musste (und wollte. Ich fand es toll, mich auszuleben und hoffe, meinen sexuellen Horizont auch künftig noch erweitern zu können). Nur, weil ich früher mit Männern schlief, unterstellt man mir, dass ich (m)einer Freundin nicht treu sein kann. Was hat mein ausschweifendes Single-Leben in den frühen 20igern mit meinem lesbischen Beziehungsleben (in dem Monogamie vereinbart ist) von heute zu tun? Ich verstehe das nicht. Ich weiß, dass ich mit diesem Problem bei weitem nicht die Einzige bin. Ich bewundere alle Bisexuellen, die offen deklarieren, dass sie sich zu beiden Geschlechtern hingezogen fühlen. Und zwar permanent. Ich weiß, dass sie dauernd mit dem Vorurteil zu kämpfen haben, sie könnten einer Frau nicht treu sein.
Der Brokkoli-Effekt
Die Psychologie-Professorin Diamond hat genau das untersucht und festgestellt, dass Frauen, die ihre sexuellen Präferenzen je nach Situation oder Person wechseln, in Beziehungen nicht sprunghafter sind, als klar hetero- oder homosexuelle Frauen. Für Fluidity-Frauen gewichten die emotionalen Komponenten mehr als das Geschlecht einer Person. Das heißt, wenn eine eigentlich heterosexuelle Frau bei einer anderen Frau genau die Werte findet, die sie anziehen, verliebt sie sich möglicherweise einfach so in eine Frau. Mit dieser ist sie dann genau so lange zusammen, wie sie das mit einem Mann wäre. Einfach solange die Chemie stimmt und die Beziehung funktioniert. Ich kann das echt nachvollziehen. Frauen sind so viel facettenreicher als Männer. Da verliebt man sich leicht einfach so. Ob es umgekehrt auch funktioniert, also dass eine eigentlich homosexuelle Frau sich plötzlich einfach so in einen Mann verliebt, kann ich nicht beurteilen. Aber gemäß der Studie müsste es so sein. Manche sagen gar, dass sich die sexuelle Orientierung im Laufe des Lebens verschieben und verändern kann. So wie Kinder Brokkoli hassen und ihn als Erwachsene plötzlich echt gerne mögen.
Homo, hetero, bi, flexibel… was bringen alle die Labels?
Immer mehr Forscher bezweifeln heute, dass die Kategorisierung in hetero, homo oder bi überhaupt Sinn macht. Ich auch. Unsere Gesellschaft hat seit den ’68ern einen gewaltigen Umbruch erlebt. Die klassischen Rollenverteilungen zwischen Mann und Frau lösen sich auf, Menschen begannen mit verschiedenen Lebens- und Liebesformen zu experimentieren und vieles davon ist heute salonfähig. Was bedeuten da die alten Labels noch? Sie beschreiben alte, verstaubte Schubladen, aber nicht mehr unsere Welt mit allen Möglichkeiten.
Aber genau das verunsichert viele von uns. Es verängstigt uns gerade zu. Wenn alles möglich und erlaubt ist, wenn alles fliesst, woran halte ich mich dann fest? Scheinbar gerne an alten Schubladen. Auch wenn das unser Zusammenleben in der Szene und generell in der Gesellschaft nicht gerade vereinfacht. Wäre es nicht schön, wenn man in einer Beziehung alle Möglichkeiten auf den Tisch wirft und sich dann einfach eine eigene, passende Schublade bastelt? Wäre es nicht angenehm, wenn es draußen keinen Menschen interessieren würde, wie wir uns sexuell orientieren? Und da kommen wir zu Miranda aus Sex and the City.
Eine Frau, die liebt
Cynthia Nixon, bekannt als Miranda aus Sex and the City, ist seit 2004 mit einer Frau zusammen – seit 2012 mit ihr verheiratet und Mutter eines gemeinsamen Kindes. Zuvor lebte sie fünfzehn Jahre in einer heterosexuellen Beziehung, woraus ebenfalls bereits zwei Kinder entstanden. Gemäß der Cosmopolitan sagte sie mal: „Ich war mein ganzes Leben mit Männern zusammen und habe nicht im Traum daran gedacht, dass ich mich in eine Frau verlieben könnte. Als es dann aber passierte, war es gar nicht so seltsam für mich. Es hat mich nicht verändert, ich bin, wie ich bin: Ich bin eine Frau, die liebt.“
Ich bin wie ich bin. Ich bin eine Frau, die liebt. Welch eine schöne Aussage. Ich interpretiere sie so: Egal auf welcher Seite jemand gerade steht, dort wo sie ist, ist sie ganz. Mit Haut und Haar. Mit all ihren Sinnen und Gefühlen. Sie ist ganz bei sich und ihrem bevorzugten Menschen.
Ich stand nie auf der Seite der Männer mit all meinen Sinnen und Gefühlen. Ich fühlte mich erst ganz bei mir und meinem bevorzugten Menschen, als meine Zuneigung und Anziehung von einer Frau erwidert wurde. Seitdem glaube ich, meine Seite bei den Frauen gefunden zu haben. Aber wer kann garantieren, dass ich mich noch in dreißig Jahren auf dieser Seite wohlfühle? Panta rhei – alles fließt. Es wäre schön, wenn es unsere gesellschaftlichen Werte erlauben würden, uns treiben zu lassen – fernab von Labels, die uns in eine sexuell ausgerichtete und wertende Schublade stecken. Wie offen bist du mit deinen Gefühlen, Gelüsten und deiner Neugierde? Wie geht dein Umfeld damit um? Deine Partnerin oder dein Partner? Hast du dich für eine Seite entschieden oder fliesst dein Ich in den Meeren der Möglichkeiten? Schwappt mal hier hin und mal dort hin…? Magst du die Sicherheit der Schubladen oder die unbegrenzten Möglichkeiten von Gender und Sexualität? Und weshalb ist dir das eine lieber, als das andere? Eine Spannende Entdeckungsreise in die Tiefen deines Selbst kann hier beginnen. Wenn du Lust darauf hast.
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Wieder einmal ein wirklich sehr schöner Beitrag, vielen Dank dafür!