Sebastienne Teil 3 – In einem aussergewöhnlichen Sinne!
Folgend eine Übersicht:
Teil 1) Ich verliebe mich in eine Freiheitskämpferin (Bambi)
Teil 2) Drei Tage Hamburg, eine Liebe für immer?
Teil 3) Unbedingt lesen! Tragigkömodie im bestem Format…
Sebastienne Projekt: In einem aussergewöhnlichen Sinne
Da mein Handeln einer eigenen Logik folgt, die mit meinem Denken nichts zu tun hat, bin ich nach dem Entschluss, wegzurennen, direkt in Sebastiennes Arme gerannt. Es waren zuckersüsse Stunden, gefolgt von einem schmerzlichen Abschied. Sebastienne hat ein 4-monatiges Praktikum in Deutschland ergattert.
Noch ganz auf den Trennungsschmerz eingestellt, habe ich SMS mit viel versprechendem Inhalt wie “ich vermisse dich“, und “wann kommst du?“ erhalten.
Zudem hat sie sich TATSÄCHLICH von ihrer Freundin getrennt, einer recht nett anzuschauenden, süssen und tadellosen Frau.
„Das gibt’s doch nicht, das kann doch nicht sein“, ging durch meinen Kopf. Noch halb ungläubig habe ich mir ein Ticket nach Deutschland gekauft, um mein neues Glück und ihre Haken zu ergründen. Vor allem den Untugenden, ihren Untugenden, habe ich meine vollste Aufmerksamkeit gewidmet.
„Du willst frei sein.“
„Ich kann auch mit dir zusammen und frei sein.“
„Wir sind beides Player und lieben es, Frauen flachzulegen.“
„Appetit kann man sich auch draussen holen, gegessen wird zu Hause.“
„Ich denke nicht, dass wir zusammenpassen. Echt, du willst irgendwann mal Kinder, aber nicht schwanger sein, und ich kann es nicht ausstehen, dass etwas Lebendiges in mir wächst, und nicht Krebs ist.Hinzu kommt, dass wir uns nicht auf den zweiten Vornamen unseres dritten weiblichen Kindes einigen können. Jasminka, wer nennt sein Kind denn heutzutage noch Jasminka? Noch zu erwähnen, dass du jiddischer, und ich eurasischer Abstammung bin.“
„Jetzt hör aber auf, nach Haaren in der Suppe zu suchen. Gib UNS eine CHANCE, vertraue mir. Wir werden die Probleme sicher lösen können, wenn sie akut sind.“
Immer noch kritisch und von ihren Worten unbeeindruckt fuhr ich fort:
„Wir sollten es chillig nehmen und warten, bis du in drei Monaten aus Deutschland zurück bist.“
„Ich will DICH und du willst MICH, es wäre unsinnig, dies aufzuschieben.“
„Dann sind wir also zusammen?“
„Ja.“
„Und du willst treu sein?“
„Ja!“
Endlich haben bei mir die Glocken geläutet, sämtliches Misstrauen ist wie Schuppen von den Augen gefallen.
So bin ich frohlockend mit der Botschaft „wir sind zusammen und sind uns treu“ nach Hause gefahren. Das Glück wurde Arg unter Probe gestellt, mein neu gewonnenes Vertrauen musste hart bewiesen werden. Meine BESTEN KOLLEGEN erhoben nämlich gewisse Einwände:
„Sie kann ja eh nicht treu sein.“
„Doch, das kann sie, ich bin da ganz zuversichtlich.“
„Ja, aber sie war vorher ja auch nicht treu.“
„Vorher war vorher, jetzt ist jetzt. Sie wird sich ändern.“
„Hast du schon mal was von Mustern gehört?“
„Ich kenne Muster: Karomuster, Linienmuster, das ist mir alles ein Begriff. Aber als angehende Psychopathin kann ich Muster auch verändern, auflösen.“
„Du bist ein naiver Narr.“
„Ja, das bin ich, zweifellos. Aber ein glücklicher. Ach, und danke für das Gespräch.“
In meinem neuen Selbstbewusstsein aufgelöst, schwebte ich die folgenden Tage auf einer lila Wolke. Mühseliges erschien mir freudvoll, Terroristen waren plötzlich Freiheitskämpfer, Fremdarbeiter Gastarbeiter, die Schule wurde zur Lernoase und meine Familie mögenswert.
Drei Tage später, als ich ihr von meiner Sehnsucht nach ihren zartsüssen Lippen und nach Honig schmeckenden Haaren berichtet habe, kam folgende Antwort:
„Ich hab grad ne Panikattacke. Ich hab etwa 20 süsse Lesben gesehen, die mich TOTAL anmachen. Und ne Moderedakteurin, Gyselle, die mich mit ihren roten Lippen und nach Edelholz und Moschus duftenden Parfüm in ihren Bann gezogen hat. Wenn sie, die nach Edelholz und Moschus duftende, ihre verruchte Pose einnimmt, eine Zigarette anzündend mir Worte wie „Armani ist Comme Les Garçons auf neoromanischer Droge“ ins Ohr haucht, fühle ich wieder, was denn der Sinn des Lebens ist. Für was es sich zu sterben lohnt. Ich bange um meine Freiheit.“
Ich war ein klein wenig perplex. War das meine Sebastienne? Habe ich den Namen vertauscht?
Ich habe diese mir in diesem Moment gänzlich unbekannte Person weiblichen Geschlechts also nach ihrer AHV-Nummer, ihrer Krankenkassennummer und ihrer Identitätsnummer gefragt:
„AHV-Nummer: 388.85.667.133
Krankenkasse: 03.89010-4
Identitätsnummer: F0860624“
Scheisse, das war wirklich Sebastienne. Und zwar jene Sebastienne, die mir drei Tage zuvor jegliches Misstrauen vertrieben und jeglichen Vorwurf von den Lippen weggeküsst hat. Mich in Watte gezaubert hat. Die Sebastienne, die mir Treue geschworen hat, will jetzt andere Frauen ficken?
Das konnte doch nur ein Irrtum sein. Sie wird wohl zu viele Aldiprodukte gegessen haben, Billigdiscounterfood mit zu vielen künstlichen Multivitaminen aufgemotzt, was zu einem B12 Vitaminrausch geführt haben muss.
Die nächsten Tage galten dem Ausbau meiner aussergewöhnlichen Theorien:
Es könnte auch am Gentechreis liegen. Denn: wenn so was schon in so einer perfekt kontrollierten Welt wie der Schweiz vorkommt, dann muss das in Deutschland gang und gäbe sein…
Da Menschen auch nicht nur von Theorien leben können, wagte ich das folgende Wochenende einen neuen Annährungsversuch, den ich als Test gestaltete.
Was für eine Art Test?
Angenommen, jemand hat eine Meinung, die sie nicht sagen will, da sie annimmt, mit dieser Meinung Missfallen zu ernten. Wie schafft man es, sie trotzdem zum sprechen zu bringen? Man tut einfach so, als sei ihre Meinung die Eigene:
„Hallo Sebastienne!“
„Hallo Attire!“
„Ich hab mir so überlegt, weißt du, du bist ja jetzt in Deutschland, nicht?“
„Ja.“
„Durch die Distanz ist es irgendwie unmöglich, was aufzubauen.“
„Ja.“
„Ich denke, es ist besser, wenn du deine Freiheit lebst.“
„Genau! Hey Attire, du sprichst mir aus dem Herzen. Weißt du, ich hab herausgefunden, dass es sinnlos ist, für etwas zu kämpfen, was man nicht vor Augen hat.“
„Soll ich ein Foto schicken?“
„Ich meine, was ich sagen will, ist: wir sollten uns keine unrealistischen Ziele setzen.“
„Also ist Zusammensein und wir sind einander treu = unrealistisch?“
„Ich will einfach frei sein!“
„….“
„Wir müssen uns ja nicht in einem herkömmlichen Sinne trennen.“
„Also in einem aussergewöhnlichen?
So kam es, dass wir in einem aussergewöhnlichen Sinne getrennt waren. Was das heissen mag, ist mir noch völlig unklar, ich tappe seit Wochen im Dunkeln, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, der nicht meine Zuneigung zu Sebastienne unterstreicht.
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