Review: “Lohngleichheit Jetzt!”
Am Samstag, den 7. März 2015, fand im schweizerischen Bern unter dem Titel „Lohngleichheit Jetzt!“ eine Kundgebung statt – für Gleichbehandlung von Frauen und Männern, gegen Lohnungleichheit sowie Benachteiligung aufgrund des Geschlechts. 45 Organisationen und etwa 12.000 Menschen gingen auf die Straße, um zu demonstrieren. Eine von ihnen war Barbara, die im Folgenden von ihren Erlebnissen, Begegnungen und Gedanken berichten wird. Eine Analyse.
Ich recherchierte gerade zum Thema Gleichstellung, als ich auf das Manifest „Kein neuer Pakt gegen die Frauen: Lohngleichheit jetzt erst recht!“ stieß. Was, wer will einen Pakt gegen Frauen schließen? Warum? Und was hat das mit unserem Gehalt zu tun? Mein Interesse war geweckt.
Gemäß den letzten statistischen Erhebungen verdienen Frauen in der Schweiz 18,9 % weniger als ihre männlichen Kollegen. Etwa 11 % des Lohnunterschieds können mit ungleichwertiger Ausbildung und differenten Funktionen erklärt werden. Interessant – oder eher skandalös – ist es aber, dass 9 % der Lohndifferenz nicht erklärt werden können. Der einzig plausible Grund für diese LohnUNgleichheit ist, dass die Stelle von einer Frau statt von einem Mann besetzt ist.
Ungleichbehandlung trotz Gesetz?
Bereits seit 1981 ist in der Bundesverfassung (Art.8 Abs. 3) festgelegt: «Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit». Zudem ist seit 1996 die Ungleichbehandlung in der unselbständigen Erwerbsarbeit strafbar (Schweizerisches Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann). Dennoch werden diese gesetzlich festgelegten Frauenrechte bis heute weder auf Grundlage des Verfassungsartikels noch des Gesetzes konsequent durchgesetzt. Frei nach dem Motto „Wo kein Kläger, dort kein Richter“, werden sie einfach übergangen. Ein Pakt gegen die Frauen? Ich weiß es nicht. Diskriminierend ist dieser Umstand auf jeden Fall.
Nicht ohne Grund haben also 45 Organisationen mit dem Manifest „Kein neuer Pakt gegen die Frauen: Lohngleichheit jetzt erst recht!“ alle Frauen und solidarischen Männer dazu aufgerufen, am 7. März 2015 in Bern für die Lohngleichheit zu demonstrieren. Etwa 12.000 Personen sind dem Aufruf gefolgt. Ich war eine von ihnen. Treffpunkt war um 13.30 Uhr auf der Schützenmatte in Bern. Der Platz war voll, überall weiße und violette Ballons, Flaggen und Banner der verschiedenen Organisationen. Frauen, Männer, Kinder und Teenager mit Transparenten und Parolen. Ich entdeckte Vertreter politischer Parteien, von grün und sozial über liberal und christlich bis hin zu bürgerlich war alles dabei; Arbeitnehmerorganisationen, Gewerkschaften, Frauenvereine, Frauennetzwerke und -vereinigungen waren mit ihren Mitgliedern vertreten.
Gemeinsam etwas bewegen, weil…
Ebenso vielfältig wie die Teilnehmenden waren ihre Gründe dafür, in Bern für die Durchsetzung der Lohngleichheit zu demonstrieren. Berufsfrauen, Teenagerinnen und Studentinnen forderten gleichen Lohn für gleiche Leistung. Schließlich besuchen Jungen und Mädchen, Frauen und Männer heute dieselben Bildungsinstitute und absolvieren dieselben Aus- und Weiterbildungen. Da steht ihnen doch auch derselbe Lohn zu, oder nicht? Rentnerinnen wiesen darauf hin, dass mit tieferem Einkommen auch das angesparte Alterskapital geringer ausfällt. Es entspricht der Tatsache, dass Frauen genau aus diesem Grund häufiger von Altersarmut betroffen und auf Ergänzungsleistungen vom Staat angewiesen sind als Männer. Mütter machten deutlich, dass auch ihre unentgeltliche Hausarbeit nicht wertlos ist Die Rednerinnen der christlichen Parteien forderten gleichen Lohn für gleiche Arbeit, damit es aus finanzieller Sicht egal ist, ob Vater oder Mutter das Arbeitspensum reduziert und sich um so genannte Care-Arbeit (Pflege und Betreuung) in der Familie kümmert. Die Frauenvereine und Landfrauen wehrten sich dagegen, dass ihre Arbeit als Ehefrauen im familieneigenen Betrieb nicht entlöhnt werden soll. Ihre Arbeit ist ebenso wertvoll, wie die ihrer Männer, verdeutlichten sie. Alle waren sich einig: Jetzt muss sich endlich etwas tun! Die Reden waren energisch, ein Gefühl von Entschlossenheit machte sich in mir breit. Genau! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Wertschätzung anstelle von Diskriminierung! Lohngleichheit ist keine Goodwill-Aktion, Gleichbehandlung steht allen zu.
Die Menschenmasse setzte sich kurz nach 14 Uhr in Bewegung und zog von der Schützenmatte durch den oberen Teil der Altstadt bis zum Bundesplatz. Dort wurde sich wieder versammelt, um weiteren Ansprachen zu lauschen. Es sprachen Frauenrechtlerinnen, die bereits 1981 für die Verankerung der Gleichstellung in der Verfassung gekämpft hatten, und es äußerten sich Vertreterinnen der Frauennetzwerke, der Parteien, der Frauenvereine und Arbeitnehmerverbände. Frauen aus allen Regionen der Schweiz und jeden Alters. Ich war mehr als einmal überrascht, wo sich Diskriminierung überall finden lässt.
Lohndiskriminierung – nicht nur der Geldbeutel blutet
Habt ihr euch einmal überlegt, in welchen Berufen das Lohnniveau besonders tief ist? Zum Beispiel im Gastgewerbe, in der Beauty-Branche, (Schönheitschirurgie mal ausgenommen), bei den Grundschullehrämtlern, den Flight-Attendants, bei Berufen im Verkauf oder rund um Haus und Garten… Typische Frauenberufe, nicht? Ist das ein Zufall? Ich habe mir als lesbische Frau noch weitere Gedanken gemacht. Den Fakten zufolge hat die Tatsache, dass die Gleichstellung von Mann und Frau seit 34 Jahren in der Verfassung verankert und die Ungleichbehandlung im Beruf seit 19 Jahren strafbar ist, nicht ausreichend zur Umsetzung der Gleichstellung beigetragen. Wie würde es wohl um ein Gesetz zur Gleichstellung homosexueller Paare stehen? Wenn ein solches Gleichstellungsgesetz problemlos umgesetzt werden könnte… weshalb sind wir Frauen dann gehaltstechnisch den Männern noch nicht gleichgestellt?
Was bedeutet die Lohndiskriminierung für lesbische Regenbogenfamilien? Welche Auswirkungen hat es für zwei Frauen, wenn sie eine Familie gründen, sich die Kinderbetreuung teilen und beide ihr Arbeitspensum reduzieren? Frauen verdienen ohne plausiblen Grund 9 Prozent weniger, als Männer in derselben Funktion. Ihr könnt euer Gehalt als Grundlage für Rechenbeispiele nehmen. Ich war überrascht – nein, eher schockiert, wie viel 9 Prozent bei meinem Lohn ausmachen. Es ist nicht so, dass sich Lohndiskriminierung nur in unserem Geldbeutel auswirkt: Jeder Franken Gehalt, den eine Frau nicht erhält, obwohl er ihr zustehen würde, fehlt ebenso bei den Renten, Einkommenssteuern, Sozialversicherungen, etc.
Gegenwind
Es gibt Stimmen aus der Wirtschaft, die behaupten, höhere Löhne für Frauen seien angesichts des starken Frankens und der Konjunktur nicht wirtschaftsverträglich. Diese Vertreter möchte ich fragen: „Darf ich Ihnen den einfachen Wirtschaftskreislauf erklären?“. Die Antwort würde ich ihnen direkt liefern: Ein Unternehmen bezahlt Lohn für geleistete Arbeit. Der Lohn wird in den Haushalten zu Einkommen. Das Einkommen wird für Konsumationen ausgegeben. Die Ausgaben werden bei den Unternehmen zu Umsatz. Mit dem Umsatz kann wieder produziert und Lohn ausbezahlt werden. Die logische Schlussfolgerung daraus ist: Mehr Lohn = mehr Konsum = mehr Umsatz.
Abschließend möchte ich Monique Ryser, Präsidentin der Business and Professional Woman BPW, zitieren: „Es gibt unzählige, verschiedenste Gründe FÜR die Lohngleichheit von Mann und Frau, aber es gibt keinen Einzigen dagegen“. Denkt mal darüber nach.
Weitere Infos auf der Homepage der Demonstration. Für die Redaktion lesbian chic: Barbara S
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