Reise nach Tel Aviv
Ich habe schon lange den Traum gehegt, einmal nach Tel Aviv zu fliegen. Denn all meine Kolleginnen und Kollegen (Anmerkung: alle hetero), die diese Stadt bereits besucht hatten, kamen absolut begeistert zurück. Und im Internet wird Tel Aviv als schrille, multikulturelle Gay-Hochburg angepriesen. Deshalb hiess es am vergangenen Karfreitag gegen 17:00 Uhr denn auch endlich: SHALOM, ISRAEL, SHALOM TEL AVIV!
Meine Vorstellung
Im Vorfeld unseres Besuchs über Ostern sind wir per Zufall auf Youtube auf eine Party-Reihe gestossen, die in Tel Aviv grosse Popularität geniesst: ARISA mischt Travestie mit traditioneller Musik – und ist genau, was ich hierzulande so vermisse. Nicht, dass Ihr mich falsch versteht: Ich brauche kein Heidi-Musical mit als Frauen verkleideten Männern auf der Bühne. Aber ich wünsche mir doch etwas mehr Kreativität und Mut zum Schrägen, zu Ausgefallenheit, zu Crazyness. Kurz: das, was die Gay-Community früher doch ausgemacht, und vom Rest der Partyszene unterschieden hat. Und so stellte ich mir das Nachtleben in Tel Aviv denn auch vor: schrill, bunt, kreativ, anders, gay!
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=BYyzA_TJA9E&feature=related[/youtube]
Wie es dann wirklich war
Am Freitagabend nahmen wir es gemütlich und dinierten bei milden Temperaturen in einem Restaurant am Strand. Das Hummous war köstlich, der Wein süffig, und es herrschte ausgelassene Ferienstimmung. Daher wollten wir auch zu späterer Stunde nicht zurück in unser Apartment, sondern zumindest noch in eine Bar. Eine Gay-Bar, wohlgemerkt. Also fragten wir das Restaurant-Personal, die auf unsere Frage, wo denn die nächste solche Location wäre, etwas irritiert mit „I really don’t know“ antwortete. Unisono. Das erstaunte mich zwar ein wenig, hielt uns aber nicht davon ab, uns eigenständig auf die Suche nach einem Hot-Spot zu machen. Fündig wurden wir dann aber leider trotz einigermassen langem Fussmarsch nicht – und beschlossen deshalb, uns am nächsten Tag vorgängig zu informieren, und zeitig zu Bett zu gehen. Energiesparen für das Restwochenende, sozusagen.
Am Samstag spazierten wir dann bei 30 Grad (sorry, das musste sein) gemütlich zum Gay-Beach. Dieser liegt passenderweise direkt neben dem Hilton-Hotel (wo denn sonst), und verfügt über ein Restaurant und eine Bar. Während wir uns im feinsten Sand in der heissen Sonne räkelten, und dieses kräfteraubende Programm nur unterbrachen, um uns neue Drinks zu holen, pumpte exzellenter Electro-Sound aus den Boxen. So weit, so wahrlich gut. Nach der zweiten Anmache von schon ziemlich blauen heterosexuellen Typen, fragte ich mich aber allmählich: wo, bitteschön, sind denn hier nun die ganzen Gays? Vereinzelt sassen sie am Tresen mit Blick auf den Strand, und tippten wie wild in ihre Handys (sah nach Grindr aus). Vier Lesben sind uns dann auch noch aufgefallen – die hatten aber einen Gang wie John Wayne und kuckten so böse aus der Wäsche wie Arnold Schwarzenegger in Terminator. Wir entschieden, dass es wohl besser wäre, uns ihnen gegenüber nicht als „Schwestern“ zu erkennen zu geben. Die restlichen 90% der Besucherinnen und Besucher waren zwar lustig, offen, und teils wirklich sehr sexy, aber eindeutig heterosexuell, und damit nicht die Art von Menschen, die ich dort gerne angetroffen hätte (tschuldigung, ist wirklich nicht böse gemeint). Und damit blieb das obige Bild auch nur ein Wunschtraum.
Gleichen Abends besuchten wir einen Schwulen-Club. Dort tummeln sich normalerweise ja auch ein paar Frauen liebende Frauen. Also kaperten wir das „Evita“, das vom Stil her dem T&M gleicht – sowohl was die Musik, wie auch das Publikum betrifft. Highlight des Abends: eine kurze Travestie-Einlage einer etwas opulenten „Sie“. Negativ: nur zwei Gleichgesinnte. Aus Norwegen. Noch negativer: auch hier wird hellhaarige und blau-grau-grün-äugige Frau ständig von Heteros angebaggert. Meine absolute Lieblings-Unterhaltung war die folgende:
Er: „Shalom!“
Ich: „Shalom!“
Er: „….?“ (hebräisch)
Ich: „???“
Er: „English“?
Ich: „Yes, please.“
Er: „You have beautiful eyes!“
Ich : „Thank you.“
Er: „Do you wanna dance?“ (und dann machte er so komische Bewegungen)
Ich: „No, thanks.“
Er: „Don’t worry, I’m not gay!“
Ich: „But I am.“
Er: „???“
Ende der Unterhaltung.
Wir machten dann das Beste aus der Nacht (Gin Tonic sei Dank) – aber mittlerweile war ich doch etwas ernüchtert. Und das sollte sich auch während den kommenden zwei Tagen nicht ändern: weder am Gay-Beach noch an der vermeintlichen Gay-Street war die Community anzutreffen.
Fazit
Wahrscheinlich waren meine Erwartungen etwas zu hoch gesteckt. Das mag einerseits am gelungenen Gay-Marketing von Tel Aviv liegen, andererseits daran, dass ich mir von Zürich einen sehr hohen Standard, was das Gay-Life betrifft, gewohnt bin. Auch Barcelona gilt ja als Paradies für die LGBT-Community, und schon diese Stadt hat mich diesbezüglich ziemlich enttäuscht. Denn: ein paar Gay-Bars und -Clubs haben wir hier auch. Das haut mich nicht mehr um. Oder vielmehr: das zeigt mir immer wieder, wie schön wir es doch hier in der Schweiz eigentlich haben.
Was Tel Aviv betrifft, gilt jedoch festzuhalten, dass die dort gelebte Offenheit Homosexuellen gegenüber etwas wirklich Tolles ist, und vor allem jene wohl verwundert, die sich nie etwas eingehender mit dem Land und / oder seinen Bewohnern auseinandergesetzt haben: Die israelische Bevölkerung besteht keineswegs nur aus orthodoxen Juden. Ich sehe in Zürich Wiedikon sogar täglich mehr davon als in vier Tagen Tel Aviv. Die Stadt ist weltoffen, multikulti, das Tor zum Westen – und deshalb für viele Mitglieder der arabischen LGBT-Community wahrhaftig ein Paradies. Ich werde mich sicher wieder einmal in eine Maschine setzen, und zumindest ein paar schöne Tage am Strand geniessen. Oder dann an die Pride gehen. Da werden sich die schrägen Vögel dann wohl hoffentlich zeigen. Shalom!
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