Coming-Out

Outing am Arbeitsplatz – Never ending story

Anfang März hatte ich ein weiteres Outing im beruflichen Wirkungskreis. Wie es ankam? Ich glaube, ganz ok.  Wie ich mich dabei gefühlt habe? Grauenhaft – Unsicher, wie ein kleines Mädchen. 

Das passierte auf den Tag genau ein Jahr nach der Publikation meines mein ersten Blogs „Outing am Arbeitsplatz“  und ungefähr 7 Jahre nach meinem ersten Outing überhaupt. Das Thema „Outing“ ist für mich irgendwie immer aktuell, nie wirklich abgehakt und wird es wohl auch nie sein.

Venus, Prinzessin, peinliche Tussi – nur nicht „Lesbe“.

Seit einem Jahr mache ich regelmässig Yoga. Meine Yogalehrerin ist auch ausgebildete Numerologin (Zahlendeuterin. Angeblich sind in jedem Namen und Geburtsdatum Zahlencodes verborgen, die Rückschlüsse auf die Persönlichkeit zulassen. Ähnlich einem Horoskop) Vergangenes Neujahr hat sie mir „meine Zahlen“ berechnet. Was auch immer man von Zahlendeuterei halten mag, mit dem Ergebnis konnte ich mich recht gut identifizieren. Gemäss meiner Zahlen bin ich nicht nur super ehrgeizig und anspruchsvoll, sondern auch eine typische Venus – die pure Weiblichkeit.

Immer geschminkt, frisiert und meine Kurven nett verpackt, entspreche ich dieser Bezeichnung, rein äusserlich betrachtet, ziemlich genau. Meine Freundin nennt mich deswegen „Prinzessin“. In der Lesbenszene hab ich auch schon „peinliche Tussi“ gehört. Interessanterweise wurde ich noch nie als „Lesbe“ klassifiziert. Oder soll ich besser „schubladisiert“ schreiben?

Ich passe weder für die Homos noch für die Heteros in das Lesbenklischee. Das ist mir oftmals recht so. Ich mag es nicht, in Schubladen gesteckt werden. Aber gerade weil ich nicht in die Lesben-Schublade passe, muss ich mich immer wieder irgendwo outen. In beruflichen Situationen ist mir das teilweise total unangenehm. Dafür schäme ich mich. Nicht, dass ich lesbisch bin. Ich schäme mich dafür, dass ich im beruflichen Umfeld noch immer Hemmungen habe, offen zu meinem Lesbisch-sein zu stehen.

Lipstick lesbian Problem 1 

Ich bin nicht überall geoutet. Wie sollte ich auch?

Anfang März fand wieder einmal eine grössere Veranstaltung meines Arbeitgebers statt. Als Organisatorin des Events stehe ich dort immer nah am Mittelpunkt. Nachdem ich mich am Morgen in meinen Hosenanzug gestürzt und eine seriöse Hochsteckfrisur kreiert hatte, ging es den ganzen Tag weiter im Kompetenzmodus. Anschliessend an die Veranstaltung, beim Nachtessen und nach ein paar Gläser Wein, wurde an meinem Tisch munter über Privates gequatscht. Mit dabei waren auch einige hochrangige Mitglieder unserer Organisation. Es ging nicht lange, da erkundigte sich einer der Herren nach meinem Wohnort. Ich erzählte, dass ich Ende März vom Vorort in die Pampa ziehe. Auf die Frage nach dem „Warum“ antwortete ich, ohne gross darüber nachgedacht zu haben: „Meine Freundin wohnt dort“. An der Reaktion meines Gesprächspartners glaubte ich zu wissen, dass er „meine Freundin“ nicht als „meine Partnerin“ erkannte. Er meinte dann auch, dass mein Arbeitsweg aber nun sicher doppelt so lange werde. „Dreimal so lang.“, antwortete ich. Und fügte an „solche Dinge macht man nur, wenn man verliebt ist.“ Ich lachte – Äusserlich. Innerlich peitschte das Adrenalin durch meinen Körper, mein Puls raste und der Raum drehte sich. Nun hatten es alle am Tisch gecheckt. Ich bin lesbisch. Ich bin im Büro zwar geoutet, aber längst nicht in der gesamten Organisation. Wie soll ich das auch? Über dreihundert juristische Personen sind unserem Verband angeschlossen. Die Delegierten der Firmen sind immer mal wieder andere Personen. Die sexuelle Orientierung ist beim Small Talk nicht grad das erste Thema. Wenn dann aber das Privatleben Thema wird, komme ich nicht darum herum, meine Freundin zu erwähnen. Warum? Weil Sie fast bei allen erzählenswerten Dingen aus meinem Privatleben mit dabei ist. Es heisst wohl nicht grundlos „Lebenspartnerin“. Sie zu verleugnen oder krampfhaft zu verschweigen, wäre unmöglich für mich.

Ausserhalb meines beruflichen Umfelds erzähle ich ohne mit der Wimper zu zucken von meiner Beziehung. Ich fühle mich dort nie bedroht oder komisch, nur weil ich als Frau eine Freundin habe. Warum ist es mir dann so unangenehm, wenn ich im Job von meiner lesbischen Beziehung spreche?

Homo na und

What the f*** is wrong with me?

Ich bin nun fast 28 Jahre alt und bin eben mit meiner Freundin zusammengezogen (der Umzug wäre auch einen Blog wert – oder eine ganze Serie mit dem Titel „Ruhe bewahren im Chaos – für Kontrollfreaks“ oder so). Ich plädiere in allen meinen Texten für Offenheit, bin flammende Rednerin für die Sichtbarkeit von Queers und ich habe mich für eine Fernseh-Doku zur Verfügung gestellt und dort aus dem Lesben-Liebesleben-Nähkästchen geplaudert. Warum hab ich dann immer noch eine leichte bis mittelschwere Outing-Panik im beruflichen Umfeld?

Business rainbow

Auf Spurensuche…

In den vergangen vier Jahren arbeitete ich mich von der temporären Mitarbeiterin zur Bereichsleiterin hoch. Diesen Platz und die damit verbundenen Kompetenzen will ich unter keinen Umständen wieder verlieren. Als ich an der Versammlung vom Zusammenzug mit meiner Freundin erzählte, überkam mich urplötzlich die Angst, dass mich wichtige Persönlichkeiten meines beruflichen Umfelds nicht mehr als kompetente, gradlinige Organisatorin sehen könnten. Kann man das rationell erklären? Nein! Es ist doch egal, ob ich lesbisch oder hetero bin. Weder meine beruflichen Qualifikationen noch meine Fähigkeiten sind an die sexuelle Orientierung gebunden. Warum hab ich dann Angst, dass mein Privatleben meinen beruflichen Status untergräbt? Ich weiß es nicht. Irgendwo in meinem Kleinhirn ist wohl abgespeichert, dass Menschen, die anders sind, geächtet werden. Und damit bin ich nicht alleine. In meinem Outing-Blog vom letzten Jahr schrieb ich bereits, dass „nur“ 60 bis 74 Prozent der lesbischen Frauen in der Schweiz bei der Arbeit geoutet sind. Das heisst im Umkehrschluss, dass 36 bis 40 Prozent sind es nicht. Warum sie sich nicht outen? Die meisten der Befragten kreuzten „aus Angst vor Diskriminierung“ an.

human

Outing ist wie vom Eiffelturm runterschauen

Was mache ich nun? Ich oute mich munter weiter. Der Umzug zu meiner Freundin wird mir noch einige Male die Frage nach dem „Warum“ verschaffen und ich werde mich mit der Erklärung automatisch outen. Mitte Mai wird die Doku im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt, in der meine Freundin und ich über unsere lesbische Beziehung sprechen. Der Beitrag wird uns landesweit outen. Macht mir das Angst? Vielleicht… Nervös macht es mich ganz sicher.

Es ist, wie mit meiner Höhenangst: Ich steige auf den Eifelturm und schaue zuoberst direkt hinunter. Der Boden bewegt sich, Schwindel kommt auf, die Angst kriecht von meinen Knien in die Kehle. Aber in dem Moment, wenn ich dieser Angst trotze, lasse ich nicht zu, dass sie mein Leben bestimmt. Ich bestimme, was ich tue und lasse, nicht die Angst. Das gibt mir ein Gefühl, als wäre ich Superwoman.

superheldin 1

So mache ich es auch bei meinen Outings. Ich erzähle von meiner Freundin, wenn ich nach meinem Privatleben oder Beziehungsstatus gefragt werde. Ich küsse sie im Restaurant beim Anstossen mit dem Wein. Ich laufe Hand in Hand mit ihr durch die Gassen. Ich nehme die Blicke von Menschen genau so wahr, wie mein Herzrasen beim Outing in speziellen Situationen. Ich nehme die Angst und Unsicherheit wahr, aber trotze ihr. Ich will mein Leben leben, wie es mir gefällt. Und dazu gehört die Liebe zu Frauen, wie meine Vorliebe für schnelle Fahrzeuge, meine Lidschatten-Sucht und die kindliche Freude, wenn ich im Sommer auf der Luftmatratze durch unsere Binnengewässer paddle. Vielleicht geht das ungute Gefühl beim Outing mal weg. Denn wie sagt man so schön? Übung macht den Meister.

Interessiert es dich, wie andere ihr Coming-out erleben? Dann schau auf der Website vom Verein „es wird besser“ rein.  Dort erzählen verschiedenste Menschen von ihren Outings und davon, dass es mit der Zeit tatsächlich besser und einfacher wird.

Fragen oder Unsicherheiten zum Coming-out? Dann schau mal hier rein.



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