Mein Weg, das zu leben, was ich liebe
Coming-out – Mein Weg, das zu leben, was ich liebe
Hallo ihr Lieben! Ich bin Isa und Aspirantin bei lesbian chic. Ich bin 23 Jahre alt und studiere im 5. Semester Soziale Arbeit. Dies ist mein erster Artikel, in dem ich euch erzähle, wie mein Coming-out verlaufen ist. Das noch gar nicht so lange her ist. Ich erzähle euch, wie meine Familie darauf reagiert hat, dass ich eine Frau liebe. Außerdem schildere ich, wie ich für mich herausgefunden habe, dass ich auf Frauen stehe und wie ich die erste lesbische Frau kennengelernt habe. Nebenbei würde ich sehr gerne erfahren, was eure Meinung zu manchen Themen ist, also seid herzlich eingeladen fleißig zu kommentieren.
Alles auf Anfang … WIESO ICH EINEN FREUND HATTE
Bis vor gut einem halben Jahr wohnte ich noch in einer ganz anderen Stadt. Ich dachte unglücklich in einen Mann verliebt zu sein und hatte immer das Gefühl, es fehlt mir etwas. Ich konnte allerdings nie genau sagen, was es war. Und jetzt? Mein Leben hat sich um 180 Grad gewendet und ich stehe an einem völlig anderen Punkt in meinem Leben. Ich wohne in einer anderen Stadt. Zusammen mit einer Frau. Mit meiner Freundin.
Seit gut einem halben Jahr kenne ich sie nun und knapp vier Monate sind wir bereits zusammen. Manchmal bin ich noch immer erschrocken darüber, wie schnell alles ging und wie viel sich innerhalb eines halben Jahres verändert hat.
Die Suche nach der „großen Liebe“
Ich war immer auf der Suche nach etwas großem. Meinen ersten Freund hatte ich mit 15, es hielt 7 Monate, meinen zweiten mit 16. Und dann gab es noch die einen oder anderen Erfahrungen, die ich mit anderen Männern gemacht habe. Trotzdem habe ich nie das gefunden, was ich suchte. Ich wollte mehr Gefühl, mehr Liebe. Diese allumfassende Liebe. So wie sie in den Märchen beschrieben wird, die mir meine Oma zum Einschlafen immer vorgelesen hat, als ich noch ein kleines Mädchen war. Aus heutiger Sicht eine fein kitschige Liebesromanze à la Nicolas Sparks. Ja ich weiß, sehr kitschig gedacht, aber das bin ich. Schrecklich gefühlvoll und eine kleine Träumerin. Bitte sagt mir, dass ich da nicht die Einzige bin?!
„Blau ist eine warme Farbe“ – und dann hat es klick gemacht.
Ich glaube, den ersten kleinen Schlüsselmoment, in dem ich wirklich für mich realisiert habe, dass ich mich für Frauen interessiere, hatte ich an einem Abend 2014. Mir war furchtbar langweilig in meiner Einzimmerwohnung im Stundentenkaff. Ich schaute bei iTunes nach einem Film, den ich schauen könnte. „Blau ist eine warme Farbe“ – ich las den Inhalt und lieh ihn mir aus. Auf den Inhalt dieses Films muss ich glaube ich nicht sonderlich eingehen. Die meisten von euch kennen ihn wahrscheinlich.
Ich konnte mich während des Film irgendwie immer wieder mit der Protagonistin, Adele, identifizieren.
Nach dem Film ist mir erst richtig bewusst geworden, dass ich immer ein Interesse an Frauen hatte. Schon immer habe ich mehr auf das weibliche Geschlecht geachtet. Sie blieben mir auch länger in Erinnerung. Natürlich gab es Schwärmereien für Männer, aber nie so sehr wie für Frauen. In welchem Zusammenhang auch immer. In Fußgängerzonen, in Filmen, auf Plattformen wie Instagram, YouTube und Co… ? Hattet ihr auch so einen Schlüsselmoment? Oder habt ihr gar keine dieser Momente gebraucht ?
War ich nicht schon immer lesbisch?
Eine weitere Situation vor diesem Abend war zu meiner Schulzeit, als ich mein Fachabitur gemacht habe. Ich war mit einer Freundin in der Stadt einen Kaffee trinken, als sie grinsend auf ein anderes Mädchen zu lief. Das Mädchen war in meiner Parallelklasse. Und wie das an kleinen Schulen so ist, wusste jeder alles über jeden. Also wusste ich auch, dass sie auf Frauen stand. Meine Freundin stellte uns vor. Und wir redeten eine Weile zu dritt über belanglose Sache. Dabei musterte ich sie und ertappte mich dabei, wie ich darüber nachdachte, wie es sich wohl anfühlen würde, ihre Hand zu halten oder sie gar zu küssen. Fühlt sich das wirklich anders an, als einen Mann zu küssen?
Irgendwann musste sie weiter und ich befasste mich nur noch kurz mit meinen Gedanken. Für’s erste ließ ich es dann aber auf sich beruhen.
Der große Wendepunkt oder als ich intuitiv interessiert an Frauen bei einer Online-Dating Seite angab
Nach sechs Jahren des Single-Daseins war ich im letzten Jahr unzufrieden. Ich habe fast ausnahmslos unbefriedigende Erfahrungen mit Männern gemacht bzw. war es nie stimmig. Also kam ich nach längerem Hadern zu dem Entschluss: „Ich melde mich bei Lovoo UND Tinder an“. Wenn schon, denn schon. Ich hielt nie richtig viel von den Plattformen. „Die meisten suchen da sowieso etwas zum Vögeln. Die Liebe findet man da eh nicht“. Bin ich mit dieser Sichtweise alleine? Oder was ist eure Meinung zu diesen Plattformen?
Jedenfalls ist es in Ordnung, wenn Lovoo & Tinder als dieses fungieren, nur war das nicht meine Intention. Meine Devise ist sowieso, dass man immer erst urteilen kann, wenn man sich selbst ein eigenes Bild gemacht hat. Beim Anmelden gab ich ohne lange zu überlegen: „ Interessiert an Frauen an“. Nach mehreren Tagen des belanglosen Schreibens mit Frauen als auch mit Männern, hatte ich mein erstes tiefgründiges Gespräch mit einer Frau über Lovoo.Wir haben uns von Anfang an gut verstanden. Sie war direkt und hat nicht lange um den heißen Brei herum geredet. Sie war eher auf der Suche nach netten Leuten, aber hauptsächlich auf der Suche nach „Spaß“. Und betonte immer wieder „Alles kann, nichts muss!“ „Endlich mal eine klare Ansage“. Dem kam ich direkt nach. „Ich habe noch nie etwas mit einer Frau gehabt, würde es aber gerne ausprobieren“. Für sie war es kein Problem, solange ich mich nicht in sie verlieben und ihr nicht hinterher laufen würde!
„Lachhaft, als würde ich mich so schnell verlieben…“ dachte ich noch.
Bis wir uns dann endlich mal getroffen haben sind mehrere Wochen vergangen. Es gab kaum Tage, an denen wir nicht geschrieben haben. Tja, und irgendwann war es dann soweit.
PENG! Nun ist sie meine Freundin. Wie es dazu gekommen ist? Das ist eine andere Story.
Wie sage ich meiner Familie, dass ich LIEBE und wen ich LIEBE?!
Letztes Jahr im Oktober saßen meine Familie und ich am Frühstückstisch und ich habe es einfach gesagt: „Übrigens, ich wollte euch noch erzählen, Robin ist jetzt meine feste Freundin“. Ich habe es die Tage vorher gefühlt 1000 mal in meinem Kopf durchgespielt, wie ich es am Besten sage, aber dann habe ich doch alles zurecht gelegte über Bord geworfen. Jetzt während ich das schreibe, denke ich mir, wieso habe ich mich so verrückt gemacht? Dass ich eine Beziehung mit einer Frau führe, ist weder etwas besonders Großartiges noch etwas besonders Schlechtes. Es sollte doch etwas vollkommen Normales und Schönes sein, worüber man gerne und offen erzählt. Oder was meint ihr ?
Meine Eltern und mein 15-jähriger Bruder haben ganz gelassen reagiert. Meine Mama hat es sich sogar schon gedacht, weil ich die vorherigen Wochen so gut wie jeden Tag mit Robin verbracht hatte. Mein Stiefvater hat gar nicht so viel dazu gesagt. Er hat sich für mich gefreut.
Wie man dem Obigen schon entnehmen kann, sind meine Eltern getrennt und ich hatte mein Coming-Out sozusagen 2x bei meinen Eltern. Irgendwie anstrengend. Mein Vater, seine Frau und meine Halbschwester haben sich, wenn auch eher reserviert, für mich gefreut. Für sie ist Robin eine Phase in meinem Leben. Eine Phase, die vorübergeht. Kennt ihr das auch?
Ich für meinen Teil fühle mich in meinen Entscheidungen, die ich als erwachsene Frau getroffen habe, null ernst genommen.
What the FUCK? Es ist eine Phase?
Als ich mit meinem Vater neulich im Auto saß, hat er sich, dass ich nun auf Frauen stehe, wie folgt erklärt: „Du bist, wie Robin auch, gefrustet von der Männerwelt. Momentan gebt ihr euch genau das, was ihr euch von den Männern gewünscht, allerdings nie bekommen habt. Deswegen passt das zwischen euch so gut“. Puh, das hat gesessen. Habt ihr auch schon mal so eine Situation mit einem Familienmitglied gehabt? Wo ihr euch am liebsten die Hand gegen die Stirn geschlagen hättet?
Ehrlich gesagt, war ich über diese Aussage so perplex, dass ich nichts erwidern konnte. Jetzt kann ich darüber nur noch lachen. Wahrscheinlich kann sich mein Vater nicht vorstellen, dass ich einfach eine Frau liebe, gerade weil sie eine FRAU ist und nicht WEIL sie die Charakterzüge o.ä. verkörpert, die ich an einem Mann vermisse.
Bizarre Nachrichten von verflossenen Liebschaften
Lustig sind auch die Nachrichten, die ich mittlerweile von alten Ex-Freunden bekomme. Ihr müsst mir unbedingt erzählen, ob ihr solche Erfahrungen auch gemacht habt! Plötzlich denkt der Mann, er ist Schuld, dass Frau ans andere Ufer gewechselt ist. Natürlich! Der Mann mitdem ich zuletzt ein Verhältnis hatte, schreibt mir mittlerweile, dass ihn meine Wandlung sehr beschäftigt. Indirekt hat er mich sogar gefragt, ob es an ihm liegen würde, dass ich nun das „Ufer“ gewechselt habe. Denn nur so könne er sich erklären, dass wir nie Sex gehabt haben. Oh je, was zum Teufel ist bei dem denn schief gelaufen?
Und ein ehemaliger Kommilitone, mit dem ich mal über einen längeren Zeitraum etwas hatte, hat jetzt realisiert, dass ich eigentlich die Richtige für ihn war. Und hat mir nun mehr als einmal deutlich gemacht, wie sehr er es bereut, das nicht früher erkannt zu haben. Zusätzlich fragte er mich, ob er noch etwas an der Situation machen könnte. Wie frech ist das eigentlich?
Fazit: Das Wichtigste ist, mit sich selbst und seiner Entscheidung zufrieden zu sein.
Ich bin eine Person, die immer viel darauf Wert legt, wie andere von mir denken und wie andere mich sehen. Aber oft bleibe ich dabei selbst auf der Strecke, wenn ich es den anderen Recht machen will. Ich sage euch daher: egal wohin ihr geht, geht mit ganzem Herzen. Tut was ihr tun müsst. Seine Homosexualität zu verleugnen kann ein Muss sein, um nicht als Märtyrerin zu sterben – in gewissen Ländern und bei gewissen Religionen – ja. Das kann ich verstehen.
Aber, wir sind hier, alles ist im Wandel und die Toleranz und die Offenheit wächst immer mehr. Nur durch offene Kommunikation können wir die Vorurteile gegenüber uns abbauen.
Who wants to come out? Hast du den Mut?
Was ich damit sagen möchte ist: lasst euch nicht beeinflussen und einschüchtern von eurem Umfeld. Selbst wenn es die Familie ist oder die engsten Freunde. Lebt das aus, was ihr fühlt und was euch glücklich macht. Ihr solltet so geliebt und akzeptiert werden, wie ihr seid, wie ihr lebt und leben möchtet und so wie ihr liebt und wie ihr lieben wollt. Was bringt es euch, wenn ihr euch versteckt, nur um den Anderen zu gefallen? Nur um in ein erdachtes „Gesellschaftsbild“ zu passen? Gar nichts! Ich für meinen Teil bin unendlich froh, dass für mich und für die Menschen in meinem Umfeld Klarheit herrscht und ich mich nicht verstecken muss, sondern einfach lebe, was ich liebe.
Danke fürs Lesen liebe Leserinnen, seid ihr neugierig? Teilt mit uns eure Coming-Out Geschichte. Wir sind sehr interessiert daran zuhören, was euch bewegt und wie ihr zu dem Thema Outing steht. Wir freuen uns über einen Austausch mit euch. Schreib unten dein Kommentar und bis hoffentlich sehr bald.
Für die Redaktion lesbianchic.de: Isa, 6. Februar 2017
1 Comment
Hallo Isa,
das hast Du wirklich schön geschrieben und obwohl mein Coming-Out und all das eine ganze Weile her ist, so erinnere ich mich noch oft daran, unabhängig davon, dass man ständig Coming-Outs hat.
Mit 18/19 wurde mir immer mehr bewusst, dass mich Frauen einfach “anders” und mehr interessieren. Dass es vielleicht sogar schon 1,2 Jahre früher angefangen hat, wurde mir erst später bewusst. Ein langer Weg begann. Ich wollte das einfach nicht wahrhaben. Ich hatte mich mit 19 auf einer Online-Plattform angemeldet (damals waren das noch kostenlose Seiten mit Chat Funktionen) und es hat sich ein Typ darauf gemeldet. Er wurde dann mein Freund. Obwohl ich doch eigentlich eine Frau gesucht habe. Doch ich habe mich nicht getraut. So hatte ich bis ich 24 Jahre alt war immer wieder eine kurze Beziehung oder Bekanntschaft mit einem Mann. Mit 23 bin ich 1 Jahr nach England und dachte, ich könnte dort mal frei sein, doch auch dort habe ich mich nicht getraut, meine größten Träume auszuleben. Zu dieser Zeit war meine PR Kommilitonin sicherlich nicht die erste Frau, die mich näher interessiert hatte. Und während ich einen Mann küsste, habe ich mir vorgestellt, wie es wohl sein würde, ein Frau zu küssen. Nie konnte ich mich in Männer verlieben. Nach meinem Studium bin ich aus einem kleinen badischen Ort nach München gezogen. Bevor ich dorthin bin, habe ich eine Anzeige aufgegeben und nur seltsame Nachrichten erreichten mich. Bis auf eine- die bekam ich am Abend nach einem Date mit einem Mann. Dieser war sofort uninteressant und eine Woche später habe ich sie getroffen. Und mich verliebt. Mit 24 habe ich mich zum ersten Mal richtig verliebt. Hatte den ersten Kuss mit einer Frau – was sich wie ein allererster Kuss anfühlte. Und so war es mit allem anderen, was folgte. Es war wie in meinen Träumen und so süß, wie es mir gewünscht hatte. Leider war sie Bi und nicht an einer Beziehung mit einer Frau interessiert. 8 Monate on off und es brach mir das Herz.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich nur bei meiner Schwester und meiner besten Freundin geoutet, die es jeweils geahnt hatten und toll reagiert haben.
Meinen Eltern erzählte ich es erst knapp 2 Jahre später, als ich meine erste lange Beziehung zu einer Frau begann. Sie sollten sie zuerst kennenlernen und dann wollte ich es erst sagen. Sie sollten keine Vorurteile haben.
Mein Vater hat unfassbar gut reagiert und meine Mutter hat es immer akzeptiert. Doch erst heute, viele Jahre später (ich bin 33), wird es zur Selbstverständlichkeit, auch wenn meine Mutter noch heute Angst vor der Reaktion anderer hat und schlecht über sie reden könnten. Sie selbst findet es ok.
Mit Männern habe ich die Erfahrung, dass sie einfach ignorieren, dass ich auf Frauen stehe, es als erhöhten Eroberungsanreiz sehen, sich einen Dreier wünschen, ja, sie überlesen es sogar auf Online-Plattformen. Ich war mal bei den Münchner Singles angemeldet und es haben mich nur Männer angeschrieben, obwohl ich Frauen angegeben habe. Ich bin feminin, gehe nicht in die Szene und sehe nicht aus, als würde ich auf Frauen stehen. Das macht es schwierig manchmal. Nun bin ich seit ein paar Monaten wieder Single und frage mich, wo ich in München eigentlich weggehen kann, um jemanden kennenzulernen? Zu den wenigen Frauenpartys, die einfach nicht meins sind und wo nicht die Frau sein wird, die ich suche? Online, wo auch immer dieselben sind? Und wieso sind eigentlich wirklich alle immer hetero? Und wieso eigentlich ist es noch immer so klar, dass man auf Männer steht? Ich wurde vielleicht zweimal in meinem Leben gefragt, ob ich einen Partner oder eine Partnerin habe.
Bei Tinder habe ich mich auch angemeldet – entweder jemand sucht nur Sex oder aber die Körpergröße ist das einzig Wichtige neben der Erkenntnis, dass man dort Abenteuersportler sein muss bzw. Traveller ist. Was aber wirklich interessant ist – kaum bin ich in meiner Heimat Baden-Württemberg so habe ich deutlich mehr oder auch interessantere Matches als in meinem so geliebten München. Aber München ist auch eine große Liebe von mir. Sind die Frauen hier denn wirklich anders?
Auf jeden Fall ist es wichtig, dass jede Lesbe oder Bi-Frau ganz offen damit umgehen sollte, denn nur so, wird es auch wirklich normal. Damit man sich nicht Sprüche anhören muss wie “Aber Deine Schwester ist normal, oder?” oder “wir gehen für Dich weg, aber nur, wenn wir auch normal weggehen”. Den Menschen ist es nicht bewusst, doch sie sehen einen als anders an – sobald sie erfahren, dass man auf Frauen steht. Die erzwungene Toleranz (man darf ja nicht homophob sein), unterscheidet nicht mehr von tatsächlicher Akzeptanz und gespielter (auf den ersten Blick), man bekommt es in ganz alltäglichen Situationen zu spüren.
Doch ganz ehrlich, eine Frau zu lieben ist das Schönste, das es gibt und deshalb werde ich auch immer dazu stehen. (Mit einem Schild renne ich dennoch nicht rum).
LG
Heike