Kommentar / Rezension / Kolumne

Geschichte aus der Nervenheilanstalt

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Seit acht Wochen weile ich nun unter Verrückten. In der Psychiatrie nerven sie mich täglich mit folgenden Fragen: „Welches Gefühl verspüren Sie jetzt? Was tun Sie nun? Was passiert in Ihnen? Was brauchen Sie?“ Gefolgt von der Aufforderung: „Schreiben Sie ein Gefühlsprotokoll!“ Dann wieder: „Wo liegt Ihre Anspannung auf einer SKALA von 0 bis 100? Wo liegt Ihre Suizidalität auf einer SKALA von 1 bis 5? Wo liegt ihre Freude auf einer SKALA von 1 bis 5?“ Ein Hoch auf SKALEN! Ein Hoch auf diese simple Form der Abbildung komplexer Gefühle! Ein Hoch auf den Oberarzt, den ich ab und zu zu Gesicht bekomme, und der daraus ableitet, wie es um mich steht!

Im Laufe dieser permanenten Auseinandersetzung mit mir selbst hat sich herausgestellt, was mich wirklich beschäftigt. Nämlich: Wie finde ich, eine schüchterne, zurückhaltende, unselbstbewusste und institutionalisierte Lesbe in dem Gewirr des Lebens meine bessere Hälfte? Ein PM-Profil hab ich schon – Erfolgsquote gleich Null. Auf Homoparties gehen? Meine Schüchternheit steht mir im Weg. Einfach jemanden ansprechen? Zu tiefer Selbstwert. Da sitzt Frau ziemlich in der Patsche. Ich muss irgendwie zum Szeni werden, zu einem respektierten und bewunderten Teil der Community. Denn: So werde ich attraktiv für potentielle Partnerinnen. Aber wie erreiche ich dieses Ziel? Mit tatkräftiger Unterstützung einiger Mit-Verrückten wage ich ein Experiment.

Frauen kennen lernen?

Erster Versuch: Ich habe beschlossen, mit einer selbstbewussten, direkten, angstlosen Mit-Verrückten und Szene-Lesbe an eine Frauen-Party zu gehen. Dafür vorgesehen ist der Freitagabend, und alles läuft nach Plan und wie am Schnürchen: Der Verrückten-Transport ist organisiert, der Ort, wo die Party steigt, abgecheckt, eine Gruppe nicht-verrückter Hühner zusammengetrommelt. Dem Versuch steht absolut nichts mehr im Wege. Doch dann zieht mir unverhofft die Psychiatrie fies und knallhart einen Strich durch die Rechnung: „Frau H., Sie haben dieses Wochenende keinen Ausgang. Sie sind zu selbstgefährdet (Skalenwert Suizidalität = 5). Wir können Sie nicht alleine raus lassen. Sie bleiben auf der Station.“ Tja, das war’s dann wohl. Da kann Frau nichts machen. Scheiss-Skalen. Also verbringe ich das Wochenende griesgrämig in der Klinik – und nerve die Pfleger aus Rache mit meiner schlechten Laune. Fazit Experiment 1: Wegen Fremdeinwirkung gescheitert.

purplemoon

 

Purplemoon

Zweiter Versuch: Mit zwei selbstbewussten, direkten, angstlosen Mit-Verrückten, die Mitleid mit mir und meiner Situation haben, wird mein PM-Profil gepimpt. Neue Fotos, neuer Steckbrief, neue „Über Mich“ – Einträge. Alles ist pünktlich zur Designänderung aufgeschaltet. Und sogleich flattern einige Messages und Post-It’s rein: „Ich suche eine Frau, bei der ich meine Bi-Neigungen ausleben kann, die mir in meiner Ehe fehlen.“ Oder: “Hey du, ich stehe auf Frauen die was dran haben!“ Quantität ist definitiv nicht gleich Qualität. Und die wenigen einigermassen interessanten Unterhaltungen werden nach kurzer Zeit auch schon wieder abrupt beendet. Der verkümmerte Selbstwert hat sich zu Wort gemeldet – und der Laptop wird sogleich zugeklappt. Fazit Experiment 2: Wegen Selbstwert = 1 gescheitert.

Dritter Versuch: Einen Blog schreiben. Da arbeite ich noch dran. Ich hab jedenfalls schon den Titel meines ersten Beitrags. Glaub ich jedenfalls. Status dritter Versuch: Pendent.

Vierter Versuch: Hat irgendjemand vielleicht wert- und gehaltvolle Inputs? Status vierter Versuch: Kein Status.

Was meint die Frau Doktor?

Cut. Letztens bei der Frau Doktor, der Therapeutin auf Station. Eine hochemotionale Sitzung. Ich mal wieder etwas selbstmitleidig weil ja soooooooooo alleine. Die Frau Doktor druckst dann plötzlich herum, und sagt dann schliesslich: „Ich wollte Sie auf etwas ansprechen. Es hat mit Ihrem Bedürfnis nach Nähe zu tun – und damit, dass sie homosexuell sind.“ Aha. Die Spannung steigt. „Sie haben mich einmal ein bisschen komisch angeschaut. Und ich befürchte, dass Sie Gefühle für mich haben.“ WIE BITTE?! Die Frau Doktor errötet und brabbelt irgendwas. Ich bin nur noch physisch anwenden und frage mich: Wie kommt die denn auf diese Scheisse?! Habe ich sie einmal schief angeschaut? Und wenn schon, ich bin verdammt noch mal Patientin in einer Psychiatrie, und nehme mir deshalb auch das Recht heraus, wen ich will schief anzuschauen! Geht’s noch?!

freiheit

Beurteilung der Situation

Welches Gefühl habe ich jetzt? Irritation und Unverständnis. Und: aufkeimendes Amüsement.

Was tue ich jetzt? Ich verschwinde aus dem Besprechungszimmer.

Was passiert in Ihnen? Ich denke, dass aus mir vielleicht doch noch  eine von allen Szenis und Insidern anerkannte Lesbe werden kann, wenn die Heteras schon glauben, dass ich auf sie stehe. I’M GONNA BE A LADY-KILLER!

Was brauchen Sie jetzt? Erstmal eine Zigarette.

[Die kleine Mü]



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3 Comments

  1. Nadja
    5. Juni 2013 at 19:32

    Hallo Müü ^^ kann dich beruhigen; du bist nicht alleine! Und es tut gut zu lesen, dass es anderen genausogeht. So ganz nebenbei, der Blog ist SUPER!! Und für Dich, Mü, YOU’RE GONNA BE A LADY-KILLER! YAY! Rock on, crazy diamond!

  2. Bela
    2. Februar 2011 at 20:53

    Bleib einfach wie du bist, du bist total okay und humorvoll. Und anstatt Selbstsicherheit empfehle ich Selbstvertrauen. Ist gut und tut gut.

  3. Lien
    21. Januar 2011 at 12:01

    Super! Hast du wirklich gut gemacht :)…

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