From Tokyo with love
Im Osten von Japan liegt die größte Metropole weltweit. Tokio – schrill, bunt und eine Stadt, die ihresgleichen sucht. Neun Millionen Menschen bewohnen die Megacity. Als einzelner kann man
schnell verloren gehen, aber die Tokioter wissen, wie man einen kühlen Kopf bewahrt und aus
der Masse hervorsticht. Nämlich mit Mode! Und genau aus diesem Grund habe ich für euch ein
Auge auf den Stil der Tokioterinnen geworfen.
Aus der Masse schöpfen
Wenn ich mich in Tokio so umsehe, dann möchte ich fast sagen, dass es in Tokio genauso viele
Kleidungsstile wie Menschen gibt. Natürlich gibt es auch Stile, die uns in Deutschland bekannt
sind. Doch die Japaner sind ein sehr fantasievolles Volk, was die Kombination ihrer Kleidungsstücke
angeht. Jungen Japanern und Modejunkies dienen oft Popstars, Manga- und Animefiguren
als Vorbild für möglichst schrille und abgefahrene Outfits. Ganz nach dem Motto:
„Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.“
Und in Japan sind der Fantasie tatsächlich keine Grenzen gesetzt.
Nicht nur die verschiedenen Kleidungsstile fallen mir auf, sondern auch die perfekt geschminkten
Gesichter der jungen Frauen. Ich werfe einen kurzen Blick in den Taschenspiegel und komme mir
plötzlich mit Eyeliner, Mascara und etwas Puder ziemlich nackt vor. Generell ist es in Tokio
nicht üblich, ungeschminkt das Haus zu verlassen, da es Tokioterinnen als Selbstverständlichkeit
sehen, sich zurechtzumachen. Dabei dürfen vor allem falsche Wimpern nicht fehlen. Egal für
welchen Anlass, falsche Wimpern sind die Grundausstattung der modernen, jungen Frau. Da ist
ein schöner Augenaufschlag schonmal sicher!
Fühle dich gut, egal was du trägst
Sechs Tage die Woche folgen die Japaner dem strengen Alltag. Sonntag, der einzig freie Tag
in Japan, wird von vielen Modebegeisterten dazu genutzt, ihren großen Mode-Idolen nachzueifern.
Im bekannten Trendviertel Harajuku, einem der wichtigsten Zentren für Mode, beginnt
meine Tour. Am Nachmittag verbringen hier viele Schulmädchen ihre Freizeit. Lachend kommen
sie aus Cafés und unterhalten sich über ihre neusten Einkäufe. Überall tummeln sich junge
Menschen, und ich übersehe fast den Eingang in das Trendviertel. Startpunkt ist die
Takeshita-dori, eine lange Einkaufstraße voller kleiner Läden. In dieser Straße
wird der deutsche Normalverbraucher kein Kleidungsstück finden, das ihm gefällt, denn dort
gibt es alle Arten von gewagten Kleidungsstilen und unzählige abgefahrene Accessoires, die nur
so nach Aufmerksamkeit schreien. Es ist eine lebhafte Straße in einem typischen
Vergnügungsviertel von Tokio.
An mir laufen zwei Mädchen vorbei, die von oben bis unten Schleifchen und Spangen tragen.
Ich muss sofort an einen überfüllten Christbaum denken. Diesen Stil nennt man Decora.
Decora wird aus dem englischen decoration abgeleitet, und ich kann euch sagen:
Dekoriert wird ausreichend! Dieser Stil soll niedlich und verjüngend wirken. In Japan muss
eine Frau nicht unbedingt elegant und weiblich sein, um als attraktiv zu gelten. Auch süß und
niedlich zu sein zählt bei einer jungen Frau als gut aussehend.
Beim Decora-Stil werden viele bunte Farben mit Schleifen, Accessoires in Form von Spielzeugen und Kuscheltieren kombiniert. Nicht jedermanns Geschmack, aber für Japaner auf alle Fälle kawaii (süß).
Ein ganz besonders beliebter Stil ist der dress harajuku style. Das bedeutet, so viele Stile
zu mixen und neu zu kombinieren, wie man will. Traditionelle Kleidung mit neuer Mode zu tragen ist
dabei nichts Außergewöhnliches. Besonders wichtig ist es, Schichten zu tragen, um möglichst viele
Stile zu vereinen. Oft sind eigene Entwürfe der Träger eingearbeitet, um noch individueller und
ausgefallener zu sein. So kreiert man etwas, das man nicht kaufen kann: Einzigartigkeit.
Bei diesen für uns extremen Arten, sich zu kleiden, geht es nicht darum, gegen den Mainstream
zu rebellieren. Es geht darum, sich in Form von Mode auszudrücken, neu zu erfinden und
das anzuziehen, was einem steht.
Der Westen als Vorbild
Nach dem Trendviertel Harajuku komme ich auf die Omotesando. Diese Einkaufsmeile
wird gerne mit der Champs-Élysées in Paris verglichen. Hier haben die meisten hochklassischen
Marken ihre Läden: Chanel, Armani … Luxus, so weit das Auge reicht. Ich gebe zu, dass es mich
nicht besonders reizt, die Läden zu begutachten, denn umso teurer und exklusiver der Laden,
desto niedriger die Raumtemperatur. Trotzdem ist die Omotesando einen Blick wert.
Flaniert einfach mal die Straße hoch und runter und ihr werdet nach dem schrillen
Viertel Harajuku eine ganz andere Seite von Tokio entdecken.
In Japan gelten die westlichen Models als Vorbilder für Schönheit und Makellosigkeit.
Besonders Models mit hellem Teint und hellen Haaren werden verehrt. Um nicht braun zu werden,
schützen sich viele Japaner mit Sonnenschirmen und langer Kleidung vor der Sonne.
Dabei spielt auch der Schutz vor zu schneller Hautalterung durch das UV-Licht eine Rolle.
Ich habe mich bei manchen Japanerinnen um zwei Jahrzehnte ihre Alters verschätzt,
weil manche mit Mitte vierzig noch aussehen wie eine Anfang Zwanzigjährige!
Auch helle Haare liegen im Trend. Die sind allerdings gar nicht so einfach zu bekommen.
Japanische Haare weisen eine andere Struktur auf als unser westliches Haar.
Beim Bleichen werden japanische Haare eher hellbraun mit leichten Orangestich.
Viele der blonden Asiaten haben daher entweder sehr stark geschädigte Haare oder
einen verdammt guten und teuren Friseur oder eine Perücke auf. Mir gefallen die
schwarzen Haare der Japaner sehr, und ich bin der Meinung, dass man so schönes Haar
gar nicht färben muss. Wobei jede von uns Frauen das Dilemma kennt, dass sie stets
die Haare nicht will, die sie gerade hat …
Mein persönlicher Lieblingsort
In Harajuku und der Omotesando sammelte ich viele interessante Bilder.
Aber mein nächster Ort hat bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen.
Ich stehe auf einer der größten Kreuzungen der Welt. An der Westseite des
Bahnhofes Shibuya liegt diese beeindruckende Alle-Gehen-Kreuzung,
welche man von acht Seiten überqueren kann. Zu abendlichen Spitzenzeiten wird sie
pro Ampelphase von bis zu 15 000 Menschen überquert. Warum dieser Ort so beeindruckend ist?
Nicht nur die umliegenden gigantischen Kaufhäuser und Modeläden sind bemerkenswert, sondern
auch die Menschen, die dem Viertel seinen ganz eigenen Charakter verleihen. Fashion-Victims,
-Divas, -Ikonen, -Junkies, -Lovers und die, die es werden wollen – hier treffen sie sich alle.
Die Statue des legendären, treuen Hachiko gilt als der Treffpunkt schlechthin.
Hier kann ich in Ruhe stehen und junge Leute in ihren verschiedenen Outfits beobachten.
Und wieder springt mir ein ganz besonderes Tokioter Fashionmerkmal ins Auge:
Farbige Kontaktlinsen. Sie sind ein effektvolles Mittel, um die Augen in Szene zu setzen.
Und es wirkt wirklich gut. Ich kann meine Augen nicht von ihnen lassen. Ein Blickkontakt hat
etwas Magisches, auch wenn die Trägerinnen, zugegeben, etwas irritiert sind, dass ich
sie beobachte. Unter den ganzen Fashionladys finde ich auch meine persönliche Favoritin.
Ihre Augen lächeln mich hinter den runden, Retro-70er-Jahre-Brillengläsern an. Sie hat
auffallend gut gefärbte blonde Haare und trägt diese kurz mit lässigen Seitenscheitel.
Heute hat sie ihr Lieblingskleid an, wie sie mir verrät. Es hat einen eng anliegenden Kragen,
ist ärmellos und fällt unter der Brust in blauem Karomuster bis kurz über die Knie.
Dieses hat sie bei Sly Lang im 109 Woman Kaufhaus, das größte Kaufhaus
für Frauen in ganz Japan, gekauft. Dazu trägt sie schwarze Söckchen, die bis über den
Fußknöchel gehen und flache Punk-Goth-Creepers. Das Outfit bekommt einen leicht edlen
Touch durch die cremefarbene Handtasche aus Leder, genauso wie durch die goldene
Retro-Armbanduhr. Ich mag es, dass sie Retro, Gothic und Punk gemischt hat, sie locker mit den
verschiedenen Stilen spielt, ohne darauf zu achten, ob das nun in ist oder nicht.
Das zeigt das Stil- und Modebewusstsein, aber vor allem den Charakter vieler jungen Tokioter.
Be special. Be you!
Abschließend durfte ich von ihr und ihrer Freundin ein Foto für euch machen. Ich hoffe, dass ihr
Tokioter Charme euch genauso verzaubert wie mich.
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