Feuchtgebiete – Viel mehr als Provokation
In den deutschen Kinos startet der Film „Feuchtgebiete“ am 22. August 2013. Sein Film sei der „Untergang des Abendlandes“ meint Regisseur David Wnendt. Medien und die Internetgemeinde zerreißen „Feuchtgebiete“ schon vor seiner Erscheinung als Skandalfilm des Jahres. Tatsächlich ist er viel mehr der Aufgang des deutschen Films, eine überraschend gelungene Erfrischung im deutschen Kino.
Charlotte Roches Erfolgsbestseller „Feuchtgebiete“ war so anstößig, so provokant und neu, dass sich ganz Deutschland sicher war: Wer das verfilmt, bringt eine Katastrophe auf die Leinwand. Trotzdem haben sich die großen Produktionen um die Rechte an Roches Werk beworben. Das Rennen machte letztendlich nicht der Höchstbietende, sondern Peter Rommel – einer, der es kann.
Während der zwei jährigen Arbeit an dem Film, hat sich Roche komplett raus gehalten. Sie hielt den Film für „eigentlich unverfilmbar“ und wollte sich bei der Premiere überraschen lassen. Das Vertrauen in Peter Rommel und Regisseur David Wnendt (bekannt durch „Kriegerin“) hat sich gelohnt.
Die Medien sind sich schon vor der Erscheinung des Films sicher, dass der „Skandalfilm des Jahres“ alle „Ekelgrenzen“ überschreite. Facebook hat den Trailer, angeblich wegen seiner „aufreizenden und sexuell expliziten Inhalte“, gesperrt und das Publikum, dass vor dem Kinosaal im Abaton Hamburg wartet, erwartet nicht viel.
Regisseur David Wnendt begrüßt das Publikum persönlich. Er hält seinen Film für den Untergang des Abendlandes und freut sich sehr über die heißen Diskussionen im Internet. Kein Wunder also, dass der Film mit einem Online-Kommentar beginnt: Wir brauchen Gott.
Die weibliche Hauptrolle Helen (Carla Juri) überzeugt von Anfang an. Für sie ist es die erste große Produktion. „Wir haben bewusst auf Laien gesetzt“ erzählt David Wnendt „in der Hoffnung eine echte Helen zu finden“. Das scheint gelungen. Per voice-over führt Carla Juri durch den Film. Was auffällt: Die Stimme erinnert sehr an Roche selbst. „Im Casting in uns das gar nicht aufgefallen“, merkt Wnendt an „wir hielten ihren schweizerischen Akzent eher für störend“. Ausschlaggebend für die Rollenvergabe an Carla Juri waren ihr offener Umgang mit Nacktheit und Vulgarität.
Tatsächlich sehen wir die hübsche 27 jährige im Film immer wieder sehr leicht oder gar nicht bekleidet in den erdenkbar bloßstellensten Situationen, in die eine junge Frau kommen kann und doch: Nichts davon wirkt wirklich anstößig, peinlich oder maßlos obszön. Sicher liegt es auch an der grandiosen Arbeit von Kameramann Jakub Bejnarowicz, dass Helen, als sie in ihrer Badewanne mit Karotten, Zucchini und Ingwer masturbiert, eher sinnlich als eklig wirkt. Auch als die Hauptdarstellerin die versiffte Klobrille der Bahnhofstoilette zwischen ihren Schamlippen umfährt, fühlen wir uns Helen nah, aber nicht so angewidert, wie erwartet.
Obwohl Wnendt und sein Team uns durch die gelungene filmische Umsetzung uns auch einen inhaltslosen Film schmackhaft hätten machen können, übertrifft die Verfilmung das Buch im Punkt Handlung. „Vieles wurde im Buch nur angerissen“, erklärt Wnendt, „ich war also gezwungen mehr daraus zu machen und das war gut“. So erscheint nehmen Helen eine zweite weibliche Hauptrolle im Film. Marlen Kruse spielt Helens beste Freundin, die ihr eigentlich so gar nicht ähnlich ist und trotzdem, bis zum Schluss, mit ihr auskommt. Genau wie Carla Juri wurde Marlen Kruse als Laie ins Boot geholt. Während eines Besuchs in der Hamburger Stage School hat Regisseur David Wnendt die angehende Musicaldarstellerin entdeckt und war sofort fasziniert von ihren begeisterten Augen. „Erst als ich Marlen Kruse gesehen habe“, erzählt Wnedt, „wusste ich wer und wie Corinna ist“. Auch spielt sich der Film im Gegensatz zum Bestseller nicht nur im Krankenhaus ab.
Nicht einmal hatte ich bei „Feuchtgebiete“ das Gefühl, dass Provokation oder Obszönität dem eigentlichen Tiefgrund die Show stehlen. Regisseur David Wnendt stellt uns Helen schon als junges Mädchen vor, dass von ihrer sprunghaften Mutter (Meret Becker) zu übertriebener Hygiene getriezt wurde. Dann die Trennung der Eltern, die neue Freundin des Vaters, der Selbstmordversuch der Mutter, die sich und Helens kleinen Bruder mit Hilfe ihres Gasherdes vergiften wollte. Eine Tatsache, die die Familie verdrängt und tabuisiert hat. Von Verdrängung hat Helen allerdings genug, so klärt sie nicht nur ihren kleinen Bruder über das Geschehen in der Vergangenheit auf, um diesem die Alpträume zu nehmen, sondern stemmt sich auch jeglicher Tabuisierung in ihrem eigenen Leben entgegen. Es wird deutlich: Helens Verhalten hat einen Ursprung.
Als Helen sich bei einer Intimrasur eine Analfissur zuzieht und ins Krankenhaus muss, möchte sie die Gelegenheit nutzen ihre Eltern an ihrem Krankenbett wieder zusammen zubringen. Dabei ist es ihr egal, ob ihr Mutter Leid angetan wurde oder nicht. „Ich liebe dich nicht, aber wenn man Kinder hat, ist das egal“, soll Helens Mutter zu ihrem Vater sagen.
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Mit ihrer reizend provokanten Art fordert sie den Zuschauen heraus und bezaubert nicht nur das Publikum, sonder auch ihren Krankenpfleger Robin, der als Zuhörer für Helens skurrile Geschichten herhalten muss. Für ihre Fantasie von einer „Wichspizza“ musste tatsächlich echte Pornodarsteller ans Set geholt werden, denn natürlich will der Zuschauer da auch echte Schwänze „und schöne weiche Eicheln“ sehen.
Als der Film nach 109 Minuten vorbei ist bin ich begeistert. Nicht nur die künstlerisch-experimentelle Umsetzung, sondern auch die Sensibilität und Detailverliebtheit von „Feuchtgebiete“ sind bemerkenswert. „Feuchtgebiete“ ist viel mehr als ein Skandalfilm, mehr als Provokation – Er ist ein grandioser Coming-of-Age Film, der mich nach Jahren endlich für den deutschen Film begeistern konnte!
Chics, habt ihr den Film schon gesehen oder das Buch gelesen? Ich bin gespannt auf eure Meinung!
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