Coming-OutKurzgeschichten

«Du Lesbenschlampe!» – Die Homophobie der eigenen Mutter dulden?

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Liebe hat doch einen Preis
Heisse Luftschwaden wabern durch das weiß geflieste Badezimmer. Ein Wasserhahn tropft, eilig abgestreifte Kleidung ist wüst über den Boden verteilt. Stocksteif steht sie da, den Blick fest auf den beschlagenen Spiegel gerichtet. Er ist blind. Zeigt nichts als undeutliche Konturen, die sich nur schwer zu einem Ganzen zusammenfügen. Der dicke Schleier an seiner Oberfläche lässt sie fast normal erscheinen. Undeutlich erkennt man ihr dunkles Haar, ihre dunklen Augen, ihr blasses Gesicht. Mit einer mechanischen Handbewegung wischt sie die Mitte des Spiegels frei. Nun kann er das wahre Ist nicht länger verbergen. Zum Vorschein kommen zwei müde rot geränderte Augen. Tränen schimmern in den Augenwinkeln. Ein leerer Blick. Fest aufeinander gepresste farblose Lippen. Das Haar tropfend nass. Ein nach dem Duschen nachlässig um den Körper gewickeltes Handtuch. Die glatte unbewegte Stirn verrät nicht das Geringste von dem Unwetter, das in ihrem Kopf tobt. Lena ist 19 Jahre alt. Erst vor wenigen Monaten hatte sie ihr Studium begonnen, Kunstgeschichte. Um Kosten zu sparen ist sie fürs Erste bei ihrer Mutter wohnen geblieben. Sie hatten immer ein gutes Verhältnis zueinander, weshalb ihr das im Vorfeld ihres Studienstarts als gute Alternative erschien. Und es versprach auch alles gut zu funktionieren: Lena fand schnell Anschluss an der Uni, hatte von Beginn an viel Freude an ihrem Studienfach und lernte auf Anhieb wundervolle neue Leute kennen. Unter anderem eine junge Frau namens Charlotte, die sie nicht nur kennen sondern auch lieben lernte. Eine Sommerromanze. Schmetterlingsstürme. Ein Rausch. Alles schien perfekt. Alles hätte so schön sein können.

Auf dem kalten Fliesenboden hat sich eine kleine Pfütze gebildet. Noch immer steht sie regungslos da. Starrt den Spiegel an. Über die frei gewischte Stelle hat sich längst wieder ein verhüllender Schleier gelegt. Eine schwer zu durchschauende Fassade. Ein leises Stimmchen ertönt, lässt ihre Gedanken vibrieren. Erst ganz zart, kaum hörbar, kaum zu verstehen. Dann immer lauter und lauter. Sie gewinnt an Präsenz, wird aufdringlicher. Lauter und lauter. Lena zuckt kaum merklich zusammen. Das Stimmchen wird lauter, verwandelt sich in ein gehässiges Brüllen.

 

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Zwischen Hass und Verzweiflung
Im späten Juli war Lenas beste Freundin Maria zu Besuch. Die beiden hatten einander seit Monaten nicht gesehen und freuten sich auf die gemeinsame Zeit. Im Laufe der Woche gab es immer mal wieder Streitereien mit Lenas Mutter. Banalitäten, keine grosse Sache. Am Freitag aber war alles anders. Lena und Charlotte waren den ganzen Tag unterwegs gewesen und kamen erst am späten Abend zurück. Die Tür öffnete sich und die Hölle brach über Lena herein. All die Beleidigungen, all die Beschimpfungen hallen in ihrem Kopf wieder. Ihr Herz schlägt schneller und lauter und schneller, die Stimme dröhnt. Macht es ihr unmöglich zu denken. Kaum hatte Lena einen Fuß in den Flur gesetzt, stürzte sich ihre Mutter wie eine Furie auf sie. Ohrfeigte sie. Links, rechts, wieder links. Lena drückte sich mit dem Rücken an die Wand, wusste nicht, wie ihr geschah. Weder wusste sie, was los war, noch was sie tun sollte. Ihre Mutter brüllte sie an. Lenas Herz setzte aus. Ihre Mutter wusste von Charlotte! Der Frau, die sie liebte. „Du ekelhafte Fotzenleckerin! Du Lesbenschlampe!“, schrie ihre Mutter. Bei jedem einzelnen Wort zuckte Lena zusammen. Der Horror stand ihr ins Gesicht geschrieben. Wie mit einem heißen Eisen brannten sich ihr die Worte ins Gedächtnis. Für immer. Hilflos versuchte Lena weiter und weiter zurückzuweichen, doch die Hasstiraden nahmen kein Ende. Undeutlich nahm sie wahr, wie sich Maria zwischen sie und den Angriff schob, ihrer Mutter etwas zurief, Lenas Hand nahm und sie mit sich in ihr Zimmer zog. Während Maria die Tür abschloss, um sie vor weiteren Attacken zu schützen, sackte Lena auf ihrem Bett in sich zusammen. Unverzüglich holte Maria die grosse Reisetasche vom Schrank. „Du kannst hier nicht bleiben!“, sagte sie. Lena reagierte nicht. Maria ging vor ihr in die Hocke und nahm sie in den Arm. „Du musst hier ganz schnell weg, hörst du?“. Ein undeutliches Schluchzen. „Hast du jemanden, zu dem du kannst? Freundin, Kommilitonin, …?“, beharrte Maria. Lena löste sich aus der Umarmung und nickte zögerlich. „Gut. Dann packen wir jetzt das Nötigste zusammen und holen dich hier raus! Sofort!“

Hure! Schlampe! Fotzenleckerin! Fingerfickerin! Die Stimme hört nicht auf, jede einzelne Beleidigung zu wiederholen, immer und immer wieder. Lauter und lauter, Dröhnender und lauter. Tränen strömen ihr übers Gesicht. Ihre Hände ballen sich zu Fäusten, die Nägel schneiden ihr ins Fleisch. Lesbenschlampe! „Hör auf!“, schreit sie. Ihr Gesicht verzerrt sich, sie löst sich aus ihrer Starre, schlägt auf den Spiegel ein. Einmal. Zweimal. Dreimal. Viermal. Scherben fliegen umher, es kümmert sie nicht. Noch ein Schlag und noch einer. Ihre Fingerknöchel platzen auf, sie verletzt sich an den Scherben, blutet. Tränenüberströmt sackt sie in sich zusammen.

 

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«Ich habe keine Tochter mehr.»
Seit Jahren schon wusste Lena, dass sie auf Frauen steht. Interesse an Jungs hatte sie nie, mit einem Mann konnte sie sich nicht mehr vorstellen als Freundschaft. Sich selbst gestand sie schnell ein, dass sie lesbisch war. Nach und nach outete sie sich auch vor anderen, erst vor ihren besten Freunden, dann vor Schulkameraden und jetzt vor Kommilitonen. Fast immer stiess sie auf positive Reaktionen, man akzeptierte sie so, wie sie eben war. Bei einem Menschen allerdings brachte Lena nie den Mut dazu auf, sich zu outen. Bei ihrer Mutter. Ein Leben lang musste sich Lena homophobe Sprüche anhören. Ein Leben lang wurde ihr eine Art von Normalität eingetrichtert, von der sie schon früh wusste, dass es nicht ihre Normalität war. Sie fühlte sich normal, so wie sie war. Normal glücklich, normal verliebt. Einfach normal. Und doch wuchs mit jedem Tag die Angst vor der Reaktion ihrer Mutter auf ihre Sexualität. Woher die extreme Homophobie ihrer Mutter kam? Vielleicht durch eine Jugend in der DDR, vielleicht durch die dörflich-bäuerliche Erziehung. Wer weiß das schon. Lena hatte stets damit gerechnet, dass ein Coming-Out sehr heftig werden würde. Aber so schlimm? Das hätte sie nie erwartet. Nie hätte sie gedacht, derart verletzt werden zu können. Und das von einem der wichtigsten Menschen in ihrem Leben.

Ich fand Lena an diesem Morgen zusammengesunken auf meinem Badezimmerboden vor, das Gesicht starr und tränenfeucht, die Hände voller Blut. Um jeden Preis wollte ich für sie da sein, ihr helfen. Ich nahm sie in den Arm, strich ihr übers Haar und murmelte irgendetwas von wegen „Das bekommen wir schon hin!“. Jetzt, ein Jahr später, hat sie sich komplett von ihrer Mutter losgesagt. Seit diesem verhängnisvollen Freitagabend ist der Kontakt gänzlich abgebrochen. Das letzte, was Lena von ihrer Mutter zu hören bekam, war „Ich habe keine Tochter mehr.“ Worte, die sich ihr für immer ins Herz gebrannt haben, die sie tiefer erschüttert haben als alle Beleidigungen und Beschimpfungen zusammen. Und doch hat sie sich nicht zerstören lassen vom Hass ihrer Mutter. Gemeinsam mit Charlotte ist sie in eine fremde Stadt gegangen, um dort neu anfangen zu können. Von sich selber sagt sie, dass sie die Dämonen der Vergangenheit nun ruhen lassen und wieder glücklich sein kann.

 

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All den Mädchen und Frauen dort draussen, die ähnliches durchmachen mussten oder müssen wie Lena, möchte ich eines sagen: ihr seid nicht allein! Es gibt viele wundervolle Menschen auf dieser Welt, die euch unterstützen. Zwar werden die tiefen Wunden Narben hinterlassen, aber es liegt an euch, ob ihr euch davon unterkriegen lasst oder nicht. Die Erinnerungen werden euch wahrscheinlich nie gänzlich loslassen, aber es liegt in eurer Hand, ob ihr euch von ihnen auffressen lasst oder nicht. Lebt euer Leben, liebt wie ihr fühlt! Und vor allem: Stay strong!

 

Du brauchst Beratung oder willst jemandem helfen, der aufgrund seiner Sexualität in Schwierigkeiten ist? Folgend findest du einige Adressen, an die du dich wenden kannst.

Deutschland:
In&Out  Tage ist das Peer-to-Peer-Beratungsprojekt von Lambda – für junge Schwule, Lesben, Bis und Trans bis 27 Jahre.

LesMigras: umfasst einen Antidiskriminierungs- und Antigewaltbereich für lesbische/bisexuelle Migrant_innen und Trans*Menschen

Hilfetelefon: 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr kostenfrei erreichbar: Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet Betroffenen erstmals die Möglichkeit, sich zu jeder Zeit anonym, kompetent, sicher und barrierefrei beraten zu lassen. Die Mitarbeiterinnen stehen hilfesuchenden Frauen vertraulich zur Seite und leiten sie bei Bedarf an die passenden Unterstützungsangebote vor Ort weiter.

Schweiz:
RainbowLine: LesBiSchwulTrans-Beratungsstelle und Meldestelle für homophobe Gewalt.

HAZInformations- und Beratungsstelle für Frauen

Die Dargebotene Hand: Die Dargebotene Hand ist offen für alle Menschen, unabhängig von Religion, Kultur und Herkunft. Sie richtet sich nach den Grundsätzen des Europäischen Verbandes der Telefon-Seelsorgen IFOTES (International Federation Of Telephone Emergency Services). Die Regionalstellen bieten je eigenständige Beratungsdienste via Tel 143 oder per Online an.

Österreich:
Courage: bietet Beratung vor allem für Lesben, Schwule, Bisexuelle, TransGenderPersonen und ihre Angehörigen an.

 



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