Dort ist es kalt. Angst by Sibilly Berg
Sibylle Berg – Angst 1
Da ist das Mädchen. Steht herum. Schaut in die Luft. Oh, Mann, jetzt Luft sein vor ihren Augen, von denen gestreichelt, durchbohrt, geschleckt werden…
Das Mädchen zieht den Blick aus der Luft, der Blick schwenkt und trifft ihn. Durch die Netzhaut in den Magen – wumm. Er fällt innerlich um, und dann explodiert es, die Kaldaunen fliegen, und in Sekunden hoppeln Ideen durch seinen Kopf: Mädchen, meins, haben, halten, alt werden, lachen, ficken, aufessen, zusammenziehen, Kinder machen, in Urlaub fahren, nicht mehr aus dem Bett.
Das Mädchen lächelt. Greift sich in die Haare. Spreizt die Beine, die Lippen, ihr Haar ist wie Gold, ihre Haut wie Samt, ihre Augen Seen, ihre Zähne Marmor, die Brüste Handgranaten. Das Mädchen wartet. Bestimmt nicht auf ihn. So eine kann jeden haben. So eine würde, wenn er jetzt zu ihr ging, stolperte, stammelte, sagen: spinnst du, und dann käme ihr Freund Brad Pitt, und sie würden beide lachen, sich die trainierten Bäuche halten, während er am Boden läge. Und er denkt: Wenn sie nicht lachen würde, träfen sie sich zum Pizzaessen, dann gingen sie zu ihr, er würde auf ihr liegen, und es ginge nicht, weil sie doch so schön wäre, und sie würde lachen, und dann käme Brad Pitt und tät es ihr so recht besorgen.
Und sie wartet, der Abend naht, die Kneipe, die Stadt macht gleich zu, und er steht und schaut sie an. Dann wird es dunkel, und das Mädchen steht auf, langsam, schaut ihn an, lächelt ihn an und geht weg, als wolle sie nicht gehen, und er steht auf, ganz schnell und denkt: Aha, sie geht, gut, dass ich sie nicht angesprochen, sie geht ja, will ja gehen, so geht er heim.
Dort ist es kalt.
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